Generative KI hat in deutschen Redaktionen ihren festen Platz erobert – doch während fast alle Medienhäuser die Technologie nutzen, bleiben viele Potenziale ungenutzt. Der neue KI-Reifegrad-Report 2025 von BDZV und Retresco zeigt, dass 96 Prozent der Verlage inzwischen auf künstliche Intelligenz setzen – ein Plus von 11 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Besonders auffällig: Der Fokus verschiebt sich deutlich in Richtung Kosteneinsparung und Effizienzsteigerung, während innovative Produkte für die Leserschaft noch zu selten entwickelt werden.
Vom Experimentieren zur Effizienzmaschine
Die Zahlen sind eindeutig: Mit 57 Prozent beabsichtigen mehr als doppelt so viele Redaktionen wie im Vorjahr, durch KI vor allem Kosten zu senken. 2024 lag dieser Wert noch bei 24 Prozent. Budgetüberlegungen dominieren die KI-Strategie deutscher Medienhäuser – mit klarem Fokus auf Sparpotenzialen.
Gleichzeitig haben 60 Prozent der Verlage inzwischen konkrete KI-Kennzahlen eingeführt oder planen dies – ein beeindruckendes Plus von 47 Prozentpunkten gegenüber 2024. Typische KPIs sind die Zeitersparnis in Minuten, die Anzahl KI-gestützt erstellter Artikel oder die Steigerung von Lese-Engagement und Lesedauer.
Die anfängliche KI-Euphorie in den Redaktionen ist einer pragmatischen Haltung gewichen: 69 Prozent der Mitarbeitenden stufen sich inzwischen als neutral ein. Offene Ablehnung bleibt die Ausnahme – ein Indiz dafür, dass KI zum redaktionellen Alltag gehört.
Top-Anwendungen: Texte, RAG und Personalisierung führen das Feld an
Zu den wichtigsten KI-Trends in Redaktionen zählt neben der automatisierten Textgenerierung (62 Prozent) besonders der Einsatz von RAG-basierten Frage-Antwort-Systemen (60 Prozent). Diese „Retrieval Augmented Generation“-Systeme kombinieren das Wissen aus eigenen Datenbanken mit KI-Sprachmodellen und ermöglichen präzise, kontextbezogene Antworten auf Nutzerfragen – ohne die typischen Halluzinationen generativer KI. Auf den weiteren Plätzen folgen KI-gestützte Personalisierung (58 Prozent) und sprachbasierte Ausgabeformate (47 Prozent). KI-Agenten hingegen werden nur von 34 Prozent der Medienhäuser als relevant eingestuft.
Strategielücken und ungenutzte Chancen
Trotz der hohen Nutzungsrate existieren weiterhin erhebliche Lücken in der strategischen Verankerung. Zwar haben bereits 60 Prozent der Medienhäuser eine KI-Strategie definiert – diese ist jedoch nur 47 Prozent der Mitarbeitenden überhaupt bekannt.
„Wer Mitarbeitende mit praktischen Handbüchern und Hands-on-Hilfen wie Prompt-Datenbanken ausstattet, schafft Vertrauen, Geschwindigkeit und Qualität – und legt die Basis für eine nachhaltige KI-Kultur“, kommentiert Holger Kansky, Leiter Digitales & Vermarktung beim BDZV.
Eine besondere Herausforderung stellen die neuen KI-Suchen wie Google AI Overviews dar: Während bereits 43 Prozent der Befragten einen Rückgang des organischen Google-Traffics verzeichnen, optimieren bislang nur 17 Prozent der Medienhäuser ihre Inhalte gezielt für diese Kanäle.
Johannes Sommer, CEO von Retresco, bringt die Kernproblematik auf den Punkt: „Die zentrale Erkenntnis unserer Erhebung ist für mich, dass der aktuelle Fokus beim Einsatz von KI noch immer auf interner Prozessoptimierung für einzelne Mitarbeitende liegt. Bisher weniger ausgeprägt ist die Entwicklung neuer KI-basierter Angebote und Services, die die Leserschaft binden, um zusätzliche Erlösquellen zu erschließen.“
Drei Fokusfelder für zukunftssichere Medienhäuser
Der Report identifiziert drei zentrale Handlungsfelder für Verlage: Erstens sollten angesichts des Kostendrucks praxisnahe KI-Use-Cases priorisiert und interne Kompetenzen systematisch ausgebaut werden – etwa durch Recherche-Assistenten oder interaktive Wissensarchive.
Zweitens gilt es, der Traffic-Erosion durch KI-Suchen von Google und Co. mit eigenen personalisierten und interaktiven KI-Services entgegenzuwirken. Drittens müssen KI-Strategien intern klar kommuniziert werden: Mit klaren Richtlinien, geeigneten Tools und gezielten Trainings sowie definierten Rollen und Verantwortlichkeiten in den Redaktionen.
Vom Sparen zum Gestalten
Die Zahlen des KI-Reifegrad-Reports zeichnen ein klares Bild: Deutsche Medienhäuser haben KI fest in ihren Arbeitsalltag integriert – nutzen sie jedoch primär als Effizienz-Werkzeug. Der nächste Entwicklungsschritt muss die Transformation vom reinen Kostenfokus hin zur Schaffung innovativer Angebote sein, die Leser begeistern und neue Erlösströme erschließen.
Für zukunftsorientierte Medienhäuser bietet sich jetzt die Chance, über die reine Prozessoptimierung hinauszudenken und KI als strategischen Differenzierungsfaktor zu etablieren – bevor die Tech-Giganten mit ihren KI-Suchen den direkten Zugang zur Leserschaft weiter einschränken.
presseportal.de – BDZV & Retresco präsentieren KI-Reifegrad-Report 2025: Entwicklungen, Hürden und Perspektiven in deutschen Medienhäusern
retresco.de – Retrieval Augmented Generation: RAG-gestützte KI-Systeme für Medien
bdzv.de – KI-Reifegrad-Report 2024: Medienhäuser setzen auf KI, doch das Potenzial bleibt ungenutzt