Die Konsolidierung im Martech-Markt nimmt Fahrt auf, doch viele Händler kämpfen noch immer mit fragmentierten Systemen und einem wachsenden „Experience Gap“. Maria Robinson, CMO von Airship, erklärt im Interview, warum die Zukunft des digitalen Handels nicht in All-in-One-Lösungen liegt, sondern in intelligenten, modularen Plattformen, die Daten, Kommunikation und Kundenerlebnisse nahtlos vereinen. Ihr Fazit: Wer Apps und Websites als zentrale Wertschöpfungsmomente begreift und echte Personalisierung durch Zero-Party-Daten ermöglicht, schafft die Basis für nachhaltigen Umsatz und Kundenloyalität. Ein Blick auf die entscheidenden Weichenstellungen der kommenden Jahre.
Der Magic Quadrant, das Analyseinstrument, das Leaders, Challengers, Visionaries und Nich Players auflistet, zeigt, dass viele große Anbieter an Boden verlieren. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass sich viele Händler inzwischen fast ausschließlich auf „Mainstream-Plattformen“ verlassen? Entsteht dadurch ein neues „Konzentrationsrisiko“, bei dem der Wettbewerb weniger über Funktionalität, sondern stärker über Plattform-Tiefe und Integrationsfähigkeit entschieden wird?
Wir sehen den Markt tatsächlich im Wandel. Das größte Risiko für Händler liegt jedoch weniger in der Konzentration auf einige wenige Plattformen als vielmehr in der zunehmenden Fragmentierung innerhalb dieser Systeme. Viele große Unternehmen befinden sich derzeit in einem mehrjährigen Übergang: weg von über Jahre gewachsenen, schwer integrierbaren alten Softwarestrukturen mit zahlreichen Einzellösungen – hin zu modernen, CDP-fähigen Plattformen, die Kundendaten zentral zusammenführen und für einheitliche, personalisierte Erlebnisse nutzbar machen. Diese Umstellungen sind aufwendig, ressourcenintensiv und führen häufig zu operativen Reibungen.
Selbst bei großen Komplettanbietern zeigt sich: Viele Funktionen, die eigentlich zum Standard moderner Multichannel-Kommunikation gehören, sind an einzelne Module gebunden. Für Marketer heißt das, dass sie zusätzliche Tools ergänzen oder auf bewährte Speziallösungen verzichten müssen.
Das Ergebnis ist ein „Experience Gap“ zwischen dem, was Kund:innen erwarten, und dem, was Marken tatsächlich liefern können. Marketingteams versenden Botschaften, während Produktteams parallel Erlebnisse gestalten – meist ohne Verbindung beider Prozesse. Diese interne Zersplitterung beeinträchtigt letztlich die Performance.
Die Plattform von Airship wurde genau dafür entwickelt: Sie vereint die Gestaltung nativer App- und Web-Erlebnisse mit kanalübergreifender Kommunikation. So können Teams nahtlos zusammenarbeiten und konsistente End-to-End-Customer-Journeys orchestrieren – anstatt nur einzelne Nachrichten zu verschicken.
Händler kämpfen mit sinkenden Margen und steigenden Kundenerwartungen. Wie kann Technologie helfen, Kundenerlebnisse direkt in Umsatz und Profitabilität zu übersetzen? Und was sind jenseits des Preises die wichtigsten Faktoren, um Kund:innen langfristig zu binden?
Technologie übersetzt Kundenerlebnisse in Umsatz, indem sie echte Personalisierung ermöglicht – also Momente schafft, in denen Kund:innen spüren: „Diese Marke versteht mich.“ Laut einer Gartner-Studie aus 2024 sind 58 Prozent der Verbraucher:innen der Meinung, dass Marken, die ihnen etwas verkaufen wollen, ihre Bedürfnisse und Präferenzen nicht wirklich kennen. Das wirkt sich unmittelbar auf die Profitabilität aus – gerade in Zeiten sinkender Margen.
Langfristige Loyalität entsteht, wenn Marken Wert durch Relevanz und Anerkennung schaffen. Das gelingt, indem sie Zero-Party-Daten – also direkt von Kund:innen freiwillig bereitgestellte Informationen – systematisch erfassen und für jede Interaktion nutzen. Unsere No-Code-Tools, etwa In-App- oder Web-Umfragen und kanalübergreifende Preference-Center, ermöglichen es Teams ohne technische Kenntnisse, diese Daten zu sammeln und sofort in personalisierte Experiences umzusetzen.
Der Effekt ist messbar: Laut Twilio geben Konsument:innen im Schnitt 21 Prozent mehr bei Marken aus, die ihre Experience personalisieren. Wer solche individuellen Erlebnisse schafft, legt die Basis für echte Loyalität: Ein anonymer Nutzer ist nur ein Besucher – ein identifizierter Nutzer ist ein Kunde, den man gezielt und konsistent ansprechen kann. Unsere Daten zeigen, dass identifizierte Nutzer 43 Prozent häufiger kaufen als anonyme. Wer also Identifikation und hyperpersonalisierte App- und Web-Erlebnisse ins Zentrum rückt, steigert Kundenwert und Bindung nachhaltig.
Sie nennen In-App- und Web-Erlebnisse als entscheidende Wertschöpfungsmomente. Was bedeutet das in der Praxis für Conversion und Loyalität im digitalen Handel?
Im digitalen Handel sind Apps und Websites längst nicht mehr nur Kanäle, sondern die zentralen Orte der Conversion – dort, wo Loyalität entsteht. Studien zeigen: 83 Prozent der US-Händler bestätigen, dass App-Nutzer häufiger kaufen, und 85 Prozent halten sie für loyaler als Nicht-App-Kund:innen. Das bedeutet in der Praxis: Marken müssen weg von unterbrechenden Botschaften wie SMS oder Pop-ups – hin zu nahtlos integrierten, personalisierten Inhalten, die sich natürlich in die Customer Journey einfügen.
Mit dem Airship Experience Editor kann ein Commerce-Brand etwa personalisierte Content-Blöcke direkt in eine App-Ansicht oder Website einbetten – dynamisch angepasst an das Verhalten des jeweiligen Nutzers. Sieht sich jemand mehrfach Produkte einer Kategorie an, erscheint beispielsweise eine passende Style-Guideline oder ein Review-Snippet mit Bewertungen dieser Artikel. Das unterstützt die Kaufentscheidung, ohne den Flow zu unterbrechen.
Ein Beleg dafür, dass ein optimiertes App- und Web-Erlebnis genau im entscheidenden Moment direkt in Umsatz und Loyalität übersetzt werden kann, ist Ulta Beauty. Das Unternehmen steigerte mit individuell gestalteten In-App-Szenen die Conversion-Rate um das 2,8-Fache – verglichen mit Nutzer:innen, die keine personalisierten Inhalte sahen.
Gartner prognostiziert, dass sich der Wettbewerb künftig weniger über
Targeting als über die Fähigkeit zur Orchestrierung individueller Journeys entscheidet. Welche Konsequenzen hat das für Handelsunternehmen?
Die zentrale Konsequenz: Handelsunternehmen müssen vom Kampagnen- zum Journey-Denken übergehen. Statt einzelne Zielgruppen mit statischen Nachrichten zu bespielen, geht es künftig um kontinuierliche, intelligente und dynamische Interaktionen, die sich in Echtzeit an das Verhalten der Kund:innen anpassen.
Ein Beispiel: Eine klassische Zielgruppen-Kampagne sendet eine Push-Nachricht zum Warenkorbabbruch. Eine orchestrierte Journey dagegen blendet zunächst ein In-App-Erlebnis mit kostenlosem Versand ein. Erfolgt keine Conversion, wird automatisch eine E-Mail mit den Warenkorb-Inhalten und zusätzlichen Empfehlungen versendet – alles abgestimmt auf das individuelle Verhalten.
Dafür braucht es eine Plattform, die Messaging-Kanäle, App- und Web-Erlebnisse verbindet und die Komplexität mithilfe von KI skaliert. Mit Journeys AI können Marketer heute komplette, mehrstufige Customer Journeys automatisiert erstellen – inklusive Content, Timing und verknüpfter App-Erlebnisse.
Im Handel ist das Gleichgewicht zwischen Automatisierung und menschlicher Steuerung heikel. Wo sehen Sie die Grenzen von KI-Agenten – und wo ihre größten Stärken?
Die größte Stärke von KI-Agenten liegt in ihrer Fähigkeit, Customer Experience und Lifecycle-Optimierung in Echtzeit zu automatisieren und zu beschleunigen – in einem Umfang, den Menschen allein nie erreichen könnten.
Für viele Retail-Teams, die noch in manuellen Zyklen von Kreation und Analyse gefangen sind, ist das ein echter Gamechanger.
Doch KI hat auch klare Grenzen: Sie kann keine Markenstrategie oder kulturelle Nuancen ersetzen. Strategisches Denken, Werteverständnis und die Fähigkeit, komplexe Markt- und Markenbeziehungen zu interpretieren, bleiben menschliche Domäne. Deshalb bleiben unsere KI-Systeme „human in the loop“: Teams behalten volle Kontrolle, sehen, welche Experimente laufen, und verstehen, wie KI-Empfehlungen ihre Ziele unterstützen.
Das ideale Modell ist eine Partnerschaft: Menschen definieren die Strategie – KI optimiert deren Umsetzung.
Wenn Sie auf die nächsten zwei bis drei Jahre blicken: Wie wichtig werden Plattformen, die Messaging, Experience und Daten vollständig vereinen? Bewegen wir uns in Richtung eines „Commerce OS“ statt vieler Einzellösungen?
Solche integrierten Plattformen werden überlebenswichtig. Kund:innen erwarten nahtlose Erlebnisse über alle Kanäle hinweg – sie interagieren mit einer Marke, nicht mit Systemen. Fast die Hälfte der Online-Konsument:innen in Großbritannien und den USA wünscht sich laut Forrester, dass Unternehmen vorhandene Daten stärker nutzen, um relevantere Erlebnisse über alle Kanäle zu schaffen.
Das ist unmöglich, wenn Daten, Kommunikation und Experience in getrennten Systemen liegen. Gleichzeitig wird ein allumfassendes „Commerce OS“, das sämtliche Martech-Bedürfnisse abdeckt, kaum Realität werden. Solche Generalisten bestehen oft aus zugekauften Modulen, die wiederum neue Silos schaffen – und in Schlüsseldisziplinen selten Best-in-Class sind.
Die Zukunft liegt daher in modularen, composable Architekturen: Ein spezialisiertes, mobile-first Experience-System bildet das Herzstück, integriert sich aber flexibel mit anderen Lösungen. Trends wie Cloud-Datenplattformen, Zero-Copy-Integrationen und die Interoperabilität von AI-Agents werden diese Entwicklung weiter beschleunigen.
Am Ende wird es darauf ankommen, die zentralen Momente der Wertschöpfung – App und Website – in einer Plattform zu vereinen, die Daten, Kommunikation und Erlebnis nahtlos verbindet. So entsteht eine personalisierte, zusammenhängende Customer Journey – ohne Abstriche bei Performance oder Markenqualität.