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Framework und Fairphone im Check: Entschärft Modulare Technik die E-Waste-Krise im IT-Sektor?

Recycling Kreislauf Handy

Elektronikschrott wächst schneller als jeder andere Abfallstrom weltweit – mit dramatischen Folgen für Umwelt und Ressourcen. Doch während die meisten Hersteller auf kurze Produktlebenszyklen und komplette Neuanschaffungen setzen, revolutionieren zwei Pioniere den Markt: Framework und Fairphone. Mit ihren modularen Geräten beweisen sie, dass Langlebigkeit, Reparierbarkeit und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze sein müssen. Wie diese Technologie-Rebellen die E-Waste-Krise tatsächlich bekämpfen und warum ihr modularer Ansatz zum neuen Gold-Standard werden könnte – ein tieferer Blick auf die Zahlen, Fakten und Potenziale.

Die eskalierende E-Waste-Krise – warum die IT-Branche umdenken muss

Die Zahlen sind alarmierend: 62 Millionen Tonnen Elektroschrott fielen 2022 weltweit an – mit einer Prognose von 82 Millionen Tonnen bis 2030. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von 3-4%, schneller als jeder andere Abfallstrom. Besonders beunruhigend: Nur 22,3% dieser Abfälle werden ordnungsgemäß recycelt. Der Rest landet auf Deponien, wird illegal exportiert oder unsachgemäß entsorgt.

Laptops und Smartphones tragen erheblich zu diesem Problem bei. Mit durchschnittlichen Nutzungsdauern von nur 4-5 Jahren bei Laptops und sogar nur 2-3 Jahren bei Smartphones erzeugt der ständige Gerätewechsel einen kontinuierlichen Strom an Elektroschrott. Die Hauptgründe für Neuanschaffungen sind dabei oft Probleme, die eigentlich leicht behebbar wären: Leistungsabfall (40%), Akkuprobleme (35%) und Display-Schäden (25%).

Die traditionelle Elektronikbranche profitiert von diesem Kreislauf des Wegwerfens und Neukaufens. Geräte werden bewusst so konstruiert, dass Reparaturen schwierig oder unwirtschaftlich sind – eine Praxis, die als „geplante Obsoleszenz“ bekannt ist. Doch dieser Ansatz steht zunehmend in der Kritik, nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch durch neue Regulierungen wie die EU Right to Repair Directive.

Framework: Der modulare Laptop-Revolutionär aus Silicon Valley

Framework, 2020 vom ehemaligen Apple-Ingenieur Nirav Patel in San Francisco gegründet, hat sich einem radikalen Ziel verschrieben: Laptops zu entwickeln, die nicht nur leistungsstark sind, sondern auch jahrelang durch einfache Upgrades aktuell gehalten werden können. „Wir glauben, dass Verbraucher das Recht haben sollten, ihre Geräte zu besitzen, zu reparieren und aufzurüsten, anstatt sie alle paar Jahre wegzuwerfen,“ erklärt Patel die Philosophie hinter seinem Unternehmen. Diese Vision hat Framework in beeindruckend kurzer Zeit in die Realität umgesetzt.

Das geniale Modularitätskonzept hinter dem Framework Laptop

Was Framework von anderen Herstellern unterscheidet, ist der konsequent modulare Aufbau der Geräte. Das Herzstück bildet das innovative „Expansion Card“-System, das es erlaubt, die Anschlüsse des Laptops nach Bedarf auszutauschen und zu konfigurieren.

Stellt euch vor, ihr könntet selbst entscheiden, welche Ports euer Laptop haben soll – genau das ermöglicht Framework. Ob USB-C, USB-A, HDMI, DisplayPort, Ethernet, MicroSD oder Audio-Anschlüsse – ihr wählt die Kombination, die zu euren Anforderungen passt. Und das Beste: Diese „Expansion Cards“ lassen sich im laufenden Betrieb austauschen.

Die Modularität geht aber weit über die Anschlüsse hinaus. Praktisch jede Komponente des Framework Laptops kann vom Nutzer selbst getauscht oder aktualisiert werden: RAM, SSD, Akku, Display, Tastatur und sogar das Trackpad. Am beeindruckendsten ist jedoch die Möglichkeit, das gesamte Mainboard auszutauschen, was faktisch einem Upgrade auf einen komplett neuen Computer gleichkommt – und das, ohne das Gehäuse, Display oder andere Komponenten ersetzen zu müssen.

Für Reparaturen und Upgrades sind keine speziellen Werkzeuge nötig. Framework setzt auf magnetische Befestigungen und einfache Schraubverbindungen, die mit dem mitgelieferten Schraubendreher gelöst werden können. Jede Komponente ist mit einem QR-Code versehen, der direkt zu den entsprechenden Reparaturanleitungen führt.

Fairphone: Der ethische Smartphone-Pionier aus Amsterdam

Während Framework die Laptop-Welt revolutioniert, verfolgt Fairphone seit 2013 eine ähnliche Mission im Smartphone-Sektor. Das niederländische Unternehmen, gegründet von Bas van Abel, hat sich nicht nur der Modularität verschrieben, sondern legt auch besonderen Wert auf ethische und nachhaltige Lieferketten.

Das aktuelle Fairphone 5 ist ein beeindruckendes Beispiel für modulares Smartphone-Design. Mit austauschbaren Komponenten wie Display, Akku, Kamera und Lautsprechern erzielt es die höchstmögliche Bewertung von 10/10 Punkten auf dem Reparierbarkeits-Index von iFixit. Zum Vergleich: Aktuelle Samsung Galaxy Modelle erreichen gerade einmal 3/10 Punkte.

Messbare Umweltvorteile: Was die Zahlen wirklich sagen

Die Umweltvorteile modularer Geräte lassen sich konkret beziffern. Studien zum Framework Laptop zeigen eine potenzielle Nutzungsdauer von über 10 Jahren durch Mainboard-Upgrades – mehr als doppelt so lang wie bei konventionellen Laptops. Dies führt zu einer CO2-Reduktion von bis zu 50% über den gesamten Produktlebenszyklus.

Fairphone kann ähnlich beeindruckende Zahlen vorweisen. Das Unternehmen erreicht eine 30% niedrigere CO2-Bilanz durch sein modulares Design und verwendet zu 80% recycelte Materialien im Fairphone 5. Besonders bemerkenswert ist die garantierte Software-Unterstützung von 8-10 Jahren – ein Vielfaches dessen, was selbst Premium-Hersteller bieten.

Die längere Nutzungsdauer modularer Geräte reduziert nicht nur Elektroschrott, sondern spart auch wertvolle Rohstoffe. Framework schätzt, dass durch Komponentenwiederverwertung bis zu 80% weniger neue Rohstoffe benötigt werden. In einer Welt mit zunehmend knappen Ressourcen ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen.

Warum sich Modularität auch finanziell lohnt

Ein häufiges Vorurteil gegen modulare Geräte ist ihr höherer Anschaffungspreis. Tatsächlich liegen die Einstiegspreise etwa 20-30% über vergleichbaren konventionellen Geräten. Doch diese Betrachtung greift zu kurz, wie eine Total-Cost-of-Ownership (TCO) Analyse zeigt.

Nehmen wir das Beispiel eines Framework Laptops: Die Anschaffung kostet etwa 1.400 USD. Nach vier Jahren wird ein Mainboard-Upgrade für 500 USD fällig – anstatt eines kompletten Neukaufs für 1.400 USD. Über einen Zeitraum von acht Jahren ergibt sich so eine Gesamtersparnis von rund 900 USD.

Beim Fairphone ist die Rechnung noch eindrucksvoller. Statt alle drei Jahre ein neues Smartphone für 700 EUR zu kaufen, genügt ein Akku-Tausch für 30 EUR. Bei Display-Schäden kostet die Reparatur etwa 100 EUR – deutlich weniger als die 700 EUR für ein Neugerät. Diese Kostenvorteile machen modulare Geräte besonders für kostenbewusste Unternehmen interessant, die ihre IT-Ausgaben optimieren möchten.

Wegen technischen Hürden setzen nicht alle Hersteller auf Modularität

Trotz der offensichtlichen Vorteile setzen die meisten großen Hersteller weiterhin auf geschlossene, nicht reparierbare Designs. Die Gründe dafür sind vielfältig. Modulare Geräte sind konstruktionsbedingt oft etwas dicker und schwerer – Framework-Laptops wiegen etwa 10-20% mehr als vergleichbare nicht-modulare Modelle.

Ein weiterer Faktor sind minimale Performance-Einbußen durch die zusätzlichen Steckverbindungen. Diese fallen im Alltag kaum ins Gewicht, können aber in spezifischen Hochleistungsszenarien messbar sein. Zudem erhöht die größere Anzahl an Verbindungspunkten theoretisch die Fehleranfälligkeit, obwohl Framework und Fairphone durch sorgfältige Konstruktion dieses Risiko minimieren.

Der wohl wichtigste Grund für die Zurückhaltung etablierter Hersteller liegt jedoch in ihren Geschäftsmodellen. Regelmäßige Komplettaustausche von Geräten generieren höhere Umsätze als der Verkauf einzelner Upgrade-Komponenten. Dieser wirtschaftliche Anreiz zur geplanten Obsoleszenz steht in direktem Widerspruch zum Nachhaltigkeitsgedanken.

Praxisbeispiel: Wie Unternehmen von modularer IT profitieren

Ein mittelständisches Beratungsunternehmen mit 50 Mitarbeitern stellte 2022 komplett auf Framework-Laptops um. Nach anfänglicher Skepsis wegen der höheren Anschaffungskosten zeigen sich nun die Vorteile: Bei Defekten können einzelne Komponenten innerhalb von Stunden ausgetauscht werden, ohne dass Mitarbeiter auf Ersatzgeräte warten müssen. Die IT-Abteilung hat RAM und SSD mehrerer Geräte problemlos aufgerüstet, als mehr Leistung benötigt wurde.

„Wir sparen nicht nur Geld, sondern auch Zeit“, berichtet der IT-Leiter. „Früher bedeutete ein defektes Display oder eine kaputte Tastatur oft tagelangen Ausfall oder sogar Neuanschaffung. Heute tauschen wir das Teil einfach aus und der Mitarbeiter kann weiterarbeiten.“ Die anfängliche Investition von 70.000 Euro für 50 Framework-Laptops hat sich bereits im zweiten Jahr amortisiert, da keine Neuanschaffungen nötig waren und Reparaturen intern durchgeführt werden konnten.

Was Branchenkenner zur Modularität sagen

Dr. Ruediger Kuehr von der UN University sieht in modularer Elektronik einen wichtigen Ansatz zur Bekämpfung der E-Waste-Krise: „Modulare Elektronik könnte die E-Waste-Krise erheblich entschärfen, wenn sie breite Marktakzeptanz findet.“ Die Herausforderung liege darin, Verbraucher vom langfristigen Nutzen zu überzeugen.

Eva Gouwens, CEO von Fairphone, betont den systemischen Ansatz: „Unser Ziel ist es zu beweisen, dass ein anderes Modell möglich ist – eines, das Menschen und Planeten über Profit stellt.“ Diese Vision geht über einzelne Produkte hinaus und zielt auf eine Transformation der gesamten Elektronikbranche ab.

Framework-Gründer Nirav Patel sieht sein Unternehmen in einer Vorreiterrolle: „Wir zeigen der Branche, dass nachhaltige, reparierbare Produkte nicht nur möglich sind, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich sein können.“ Der Erfolg von Framework mit mehreren ausverkauften Produktgenerationen gibt ihm recht.

Der Weg zur Kreislaufwirtschaft: Modulare Technik als Schlüsselelement

Modulare Geräte wie die von Framework und Fairphone sind mehr als nur innovative Produkte – sie sind Wegbereiter für eine echte Kreislaufwirtschaft im IT-Sektor. Durch die Möglichkeit, einzelne Komponenten auszutauschen und aufzurüsten, bleibt der Großteil des Geräts über viele Jahre im Einsatz. Dies reduziert nicht nur Abfall, sondern optimiert auch die Ressourcennutzung.

Beide Unternehmen denken den Kreislaufgedanken konsequent zu Ende. Framework bietet ein Rücknahmeprogramm für alte Komponenten an, die aufbereitet oder recycelt werden. Fairphone setzt auf konfliktfreie Mineralien und faire Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette. Diese ganzheitlichen Ansätze zeigen, wie die IT-Branche nachhaltiger werden kann, ohne an Innovationskraft zu verlieren.

Die Kreislaufwirtschaft im IT-Sektor hat enormes Potenzial. McKinsey schätzt, dass durch konsequente Anwendung von Kreislaufprinzipien in der Elektronikindustrie jährlich bis zu 7 Millionen Tonnen E-Waste vermieden werden könnten. Modulare Geräte sind ein wichtiger Baustein in diesem Transformationsprozess.

Nachhaltige Technologie als Wettbewerbsvorteil

Für zukunftsorientierte Unternehmen bietet der Einsatz modularer Technologie mehrere strategische Vorteile. Neben den bereits erwähnten Kostenvorteilen durch längere Nutzungsdauer und einfachere Reparaturen spielen auch Nachhaltigkeitsziele eine zunehmend wichtige Rolle in der Unternehmensführung.

Unternehmen, die auf modulare IT-Ausstattung setzen, können dies effektiv für ihre Nachhaltigkeitsbilanz und ESG-Reporting nutzen. Die messbare Reduktion von E-Waste und CO2-Emissionen durch längere Gerätenutzung trägt direkt zu Umweltzielen bei. Dies wird besonders relevant, da Investoren und Kunden zunehmend Wert auf nachhaltige Geschäftspraktiken legen.

Ein weiterer Vorteil liegt in der Mitarbeiterzufriedenheit. Moderne, leicht reparierbare Geräte signalisieren Wertschätzung und reduzieren Frustrationen durch IT-Ausfälle. In Zeiten des Fachkräftemangels kann dies ein entscheidender Faktor bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung sein.

Zukunftstrends: Die nächste Generation modularer Technologie

Die Entwicklung modularer Technologie steht erst am Anfang. Framework und Fairphone arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen ihrer Konzepte. Framework hat kürzlich mit dem Framework 16 einen modularen Gaming-Laptop vorgestellt, der sogar austauschbare GPUs ermöglicht – ein technologischer Durchbruch, der bisher als kaum realisierbar galt.

Fairphone erweitert sein Ökosystem um nachhaltige Zubehörprodukte und arbeitet an noch längeren Software-Support-Zeiträumen. Das Unternehmen experimentiert zudem mit biologisch abbaubaren Materialien für Gehäuseteile.

Zukunftsweisend sind auch Standardisierungsbemühungen. Gemeinsame Schnittstellen und Formfaktoren könnten modulare Komponenten herstellerübergreifend kompatibel machen – ähnlich wie USB-C den Anschluss-Dschungel vereinfacht hat. Dies würde die Akzeptanz modularer Technologie weiter fördern und Skaleneffekte ermöglichen.

Der modulare Wendepunkt: Jetzt handeln für nachhaltige IT

Die E-Waste-Krise verschärft sich täglich, doch mit Framework und Fairphone stehen bereits heute praxistaugliche Alternativen zur Wegwerfmentalität bereit. Diese Pioniere beweisen eindrucksvoll, dass Technologie nicht zwangsläufig kurzlebig sein muss. Ihre modularen Konzepte bieten eine reale Chance, den Elektronikschrott drastisch zu reduzieren und gleichzeitig wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.

Für Unternehmen und Organisationen ist jetzt der ideale Zeitpunkt, auf modulare IT umzustellen. Die Produkte sind ausgereift, die Kostenvorteile über den Lebenszyklus überzeugend und die regulatorischen Rahmenbedingungen entwickeln sich klar in Richtung Reparierbarkeit und Nachhaltigkeit. Wer frühzeitig umstellt, sichert sich nicht nur Wettbewerbsvorteile, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz.

Die Zukunft der IT ist modular, reparierbar und nachhaltig. Framework und Fairphone haben den Weg geebnet – jetzt liegt es an uns allen, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Denn eines ist klar: Die nächste Generation von Technologienutzern wird uns nicht daran messen, wie oft wir neue Geräte gekauft haben, sondern wie verantwortungsvoll wir mit Ressourcen umgegangen sind.

frame.work – About Framework

fairphone.com – About Fairphone

itu.int – Global E-waste Monitor 2024

unep.org – Global E-waste Monitor 2024

framework – Framework Laptop Carbon Footprint Analysis

ifixit.com – Laptop Repairability Scores

mckinsey.com – The circular economy in electronics

ec.europa.eu – Right to Repair: New rules to make repair easier and more attractive

bundesregierung.de – Recht auf Reparatur wird gestärkt

techcrunch.com – Framework CEO Nirav Patel on the future of modular laptops (Kyle Wiggers)

wired.com – Fairphone’s CEO on Building Sustainable Smartphones (Lauren Goode)

unu.edu – UN report: Time to seize opportunity to tackle fastest-growing waste stream

grandviewresearch.com – Modular Electronics Market Size & Growth

About the author

Bild von Alexander Dionisius

Alexander Dionisius

Für Alexander Dionisius ist das Schreiben eine Leidenschaft und so arbeitet er seit über 30 Jahren als Redakteur für unterschiedliche Medien und Onlineportale. Sein Schwerpunkt sind Wirtschaftsthemen mit einem besonderen Blick auf die Start-Up-Szene. Die Ausbildung zum Redakteur absolvierte er an der Deutschen Journalistenschule in München für Hubert Burda Media. 2007 hat er sich als freiberuflicher Redakteur und Kommunikationsberater selbständig gemacht.
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