Die EU steht vor einer wegweisenden Entscheidung, die den Krypto-Markt in Europa grundlegend verändern könnte. Statt 27 verschiedener nationaler Aufsichtsbehörden soll die European Securities and Markets Authority (ESMA) künftig als zentrale Instanz die Kontrolle über Krypto-Plattformen übernehmen. Dieser Plan, der im Dezember 2025 als Teil eines größeren „Market Integration Package“ vorgestellt wird, spaltet die Branche in zwei Lager – mit weitreichenden Konsequenzen für alle Marktteilnehmer.
Die Vision einer „Europäischen SEC“
Die Idee einer zentralen EU-Aufsichtsbehörde nach dem Vorbild der amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC) gewinnt an Dynamik. ESMA-Chefin Verena Ross macht klar, worum es geht: „Es kostet uns und die nationalen Aufsichtsbehörden eindeutig viel Aufwand, eine Abstimmung zu erreichen. Spezifische neue Ressourcen mussten 27 Mal aufgebaut werden, einmal in jedem Mitgliedstaat, was effizienter auf europäischer Ebene hätte gemacht werden können.“
Auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde unterstützt die Initiative nachdrücklich. Beim European Banking Congress 2023 betonte sie: „Eine Europäische SEC zu schaffen, zum Beispiel durch die Erweiterung der Befugnisse von ESMA, könnte die Antwort sein. Sie würde ein breites Mandat benötigen, einschließlich direkter Aufsicht, um systemische Risiken zu mindern, die von großen grenzüberschreitenden Unternehmen ausgehen.“
Die Reform zielt darauf ab, einen integrierten und global wettbewerbsfähigeren EU-Finanzmarkt zu schaffen und die anhaltende Fragmentierung zu überwinden – ein Schritt in Richtung eines echten einheitlichen Kapitalmarkts für Europa.
Das Problem der regulatorischen Fragmentierung
Das aktuelle System unter der Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA) führt zu erheblichen Ineffizienzen. Jedes der 27 EU-Länder hat eigene Krypto-Aufsichtsteams aufgebaut, was zu unterschiedlichen Interpretationen und Umsetzungen der eigentlich einheitlichen Regeln führt. Marina Markezic von der European Crypto Initiative bringt das Dilemma auf den Punkt: 27 verschiedene nationale Behörden, die dieselbe Regulierung überwachen, schaffen Verwirrung und riskieren, MiCAs Hauptziel zu untergraben – konsistente Regeln in ganz Europa zu etablieren.
Widerstand der Krypto-Hubs
Besonders kleinere EU-Staaten, die sich als Krypto-Hubs positioniert haben, laufen Sturm gegen die Pläne. Malta, das bereits Lizenzen an große Börsen wie OKX und Crypto.com erteilt hat, warnt, die Zentralisierung würde „nur eine zusätzliche Bürokratieebene einführen, die die Effizienz behindern könnte, während die EU aktiv danach strebt, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.“
Luxemburgs Finanzminister Gilles Roth plädiert für „aufsichtliche Konvergenz anstatt ein kostspieliges und ineffektives zentralisiertes Modell zu schaffen.“ Noch deutlicher wird Claude Marx, Leiter der luxemburgischen Finanzaufsichtsbehörde, der vor einem regulatorischen „Monster“ warnt.
Auch Irland befürchtet Nachteile für seinen nationalen Finanzsektor. Die Sorge: Der Verlust von Wettbewerbsvorteilen und Einfluss in einem Markt, den diese Länder aktiv für sich erschlossen haben.
Chancen für mehr Konsistenz und Vertrauen
Trotz aller Bedenken bietet der Vorschlag auch erhebliche Vorteile. Dea Markova, Direktorin für Politik bei der digitalen Asset-Custody-Plattform Fireblocks, sieht Potenzial: „Auf prinzipieller Ebene glauben wir, dass mehr Standardsetzung und Leitlinien benötigt werden, um Risiken anzugehen, die von der operationellen Widerstandsfähigkeit der Verwahrungsfunktion ausgehen.“
Die Fallstudie Malta zeigt die Notwendigkeit einer stärkeren Koordination. Im Juli 2025 kritisierte die ESMA Maltas Financial Services Authority dafür, Krypto-Unternehmen zu genehmigen, während wichtige Risikobereiche ungelöst blieben – darunter Governance-Probleme und Cybersicherheitsbedenken.
Unter dem vorgeschlagenen System würde die ESMA direkt „die bedeutendsten grenzüberschreitenden Einrichtungen“ überwachen, während lokale Behörden weiterhin kleinere, inländische Unternehmen beaufsichtigen würden. Dies könnte zu einem ausgewogeneren Ansatz führen, der sowohl regulatorische Konsistenz als auch lokale Expertise berücksichtigt.
Die Behörde erhielte zudem die Befugnis, bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten einzugreifen und bindende Entscheidungen zu treffen – ein wichtiger Schritt für einen wirklich einheitlichen Markt.
Der Blick nach vorne: Strategische Positionierung für Krypto-Unternehmen
Die Diskussion um die Zentralisierung der Krypto-Aufsicht wird die Branche noch mindestens bis Ende 2026 beschäftigen, wenn die Änderungen in Kraft treten könnten. Für Krypto-Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre regulatorische Strategie anpassen müssen – unabhängig davon, wie die Entscheidung ausfällt.
Wer jetzt schon auf robuste Compliance-Strukturen setzt, die über einzelne nationale Anforderungen hinausgehen, wird von der möglichen Zentralisierung profitieren können. Gleichzeitig lohnt es sich, die bestehenden Passporting-Möglichkeiten unter MiCA voll auszuschöpfen, um eine starke Marktposition in ganz Europa zu etablieren, bevor mögliche Veränderungen greifen.
Europas Krypto-Zukunft: Zwischen Harmonisierung und Innovation
Die kommende Entscheidung wird zeigen, ob Europa den Weg einer stärkeren regulatorischen Harmonisierung gehen wird. Für zukunftsorientierte Krypto-Unternehmen gilt: Wer die regulatorischen Entwicklungen als Chance begreift und sich frühzeitig auf verschiedene Szenarien vorbereitet, wird gestärkt aus diesem Transformationsprozess hervorgehen.
Unabhängig vom Ausgang der Debatte steht fest: Europa positioniert sich als ernstzunehmender globaler Akteur im Krypto-Sektor – mit klaren Regeln, die langfristige Planungssicherheit bieten. Die Frage ist nicht ob, sondern wie diese Regeln künftig durchgesetzt werden.
cointelegraph.com – EU plan to centralize crypto oversight under ESMA dividing the industry
cryptonews.com – EU Plans to Give ESMA Direct Power Over Crypto Exchanges
bravenewcoin.com – EU Plans Major Shift in Crypto Regulation Under ESMA