Von der Berliner Modewelt auf die internationale Designbühne – der Fall Calzedonia gegen Saint Sass zeigt schonungslos, wie schnell kreative Ideen zum Opfer von Nachahmung werden können. Das kleine Label Saint Sass sah sich plötzlich seinen charakteristischen Wiesn-Strumpfhosen bei der Modekette Calzedonia gegenüber – in verblüffender Ähnlichkeit. Was auf den ersten Blick wie ein klassisches David-gegen-Goliath-Szenario wirkt, offenbart bei genauerem Hinsehen die Notwendigkeit einer durchdachten Markenstrategie, die weit über ästhetische Elemente hinausgeht.
Wenn Designs zum Spielball der Großen werden
Der Fall liegt klar auf dem Tisch: Calzedonia brachte Wiesn-Strumpfhosen auf den Markt, die dem Original von Saint Sass zum Verwechseln ähnlich sehen. In den sozialen Medien entbrannte sofort eine hitzige Debatte, die sich in zahlreichen Instagram-Reels und LinkedIn-Posts widerspiegelt. Robin Lauber etwa beschreibt die Situation auf LinkedIn als klassischen „David vs. Goliath“-Kampf in der Modewelt.
Für Saint Sass geht es um mehr als nur ein kopiertes Produkt – es steht die Identität einer aufstrebenden Marke auf dem Spiel. Das Berliner Label hat mit seinen Statement-Strumpfhosen ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen, das nun durch die Übernahme durch einen internationalen Player verwässert wird. Die visuelle Gegenüberstellung beider Produkte in sozialen Netzwerken lässt selbst Laien kaum Zweifel an der frappierenden Ähnlichkeit.
Die Frage „Darf Calzedonia das?“ hallt durch die Branche.
Im Dschungel der Designrechte
Die rechtliche Situation bei Modedesigns gleicht einem Balanceakt auf dünnem Eis. Während das Designrecht die ästhetische Erscheinungsform eines Produkts schützen kann, sofern es neu und eigenartig ist, bietet das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster einen automatischen, wenn auch zeitlich begrenzten Schutz ab der ersten öffentlichen Präsentation. Doch die Praxis zeigt: Die Durchsetzung dieser Rechte ist oft kostspielig, langwierig und angesichts des schnellen Modezyklus häufig wenig effektiv. Große Konzerne kalkulieren dieses Risiko bewusst ein – sie wissen, dass kleinere Labels selten die Ressourcen für langwierige Rechtsstreitigkeiten aufbringen können. Die Modegeschichte ist gespickt mit ähnlichen Fällen, die die Grauzone zwischen erlaubter Inspiration und verbotenem Plagiat beleuchten.
Es ist wichtig zu betonen, dass das Urheberrecht nur die konkrete Ausdrucksform schützt, nicht die Idee selbst, und dass Kleidung als „nützlicher Gegenstand“ nur begrenzt geschützt ist. Nur „rein kreative Elemente“ können rechtlich geschützt werden, während funktionale Aspekte wie „eine übergroße Jacke“ nicht schutzfähig sind.
Markenidentität als unkopierbarer Schutzschild
Der wahre Schutz vor Nachahmung liegt nicht allein im Rechtsweg, sondern in einer ganzheitlichen Markenstrategie. Saint Sass demonstriert dies durch eine klare Wertepositionierung und authentisches Storytelling auf seiner Website und in sozialen Medien.
Eine starke Marke definiert sich durch mehr als nur visuelle Elemente – sie verkörpert eine Geschichte, Werte und eine Community, die sich mit ihr identifiziert. Während Designs kopiert werden können, bleibt die Markenessenz einzigartig.
Für kleine Labels wie Saint Sass ist der Aufbau einer treuen, engagierten Community ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Diese Fans werden zu Markenbotschaftern und verteidigen die Marke – wie die aktuelle Solidaritätswelle in den sozialen Medien eindrucksvoll zeigt.
Calzedonia hingegen setzt als internationaler Konzern auf Marktdurchdringung und breite Zielgruppenansprache. Was kurzfristig als cleverer Schachzug erscheinen mag, kann langfristig das Markenimage beschädigen, wenn Verbraucher die Kopierpraxis kritisch sehen.
So schützt ihr eure kreativen Assets wirkungsvoll
Für Kreative und Unternehmer ist der Fall ein Weckruf, proaktive Schutzstrategien zu entwickeln. Beginnt mit der rechtlichen Absicherung: Eine Kombination aus eingetragenem Design- bzw. Geschmacksmuster und markenrechtlichem Schutz bildet das Fundament. Dokumentiert akribisch eure Designprozesse – vom ersten Skizzenstrich bis zum fertigen Produkt. Diese Nachweise sind im Streitfall Gold wert.
Investiert parallel in eine unverwechselbare Markenidentität, die über einzelne Designs hinausgeht. Erzählt eure Geschichte authentisch und baut eine Community auf, die eure Werte teilt. Diese emotionale Bindung ist ein Schutzschild, den kein Wettbewerber kopieren kann.
Kreative Differenzierung als Erfolgsrezept
Der schmale Grat zwischen Inspiration und Kopie erfordert von Designern besondere Aufmerksamkeit. Definiert klar, was eure Marke einzigartig macht. Ist es die Materialauswahl, die Produktionsweise oder die Philosophie dahinter?
Setzt auf Transparenz und nehmt eure Kunden mit auf die Reise – vom Designprozess bis zum fertigen Produkt. Diese Authentizität schafft Vertrauen und Markenloyalität, die weit über einzelne Designelemente hinausgeht.
Betrachtet Nachahmungen auch als Bestätigung eurer Relevanz. Kopien sind oft ein Zeichen dafür, dass ihr den Zeitgeist getroffen habt. Nutzt diesen Moment, um eure Marke weiterzuentwickeln und euch erneut an die Spitze der Innovation zu setzen.
Von der Kopie zum Comeback
Der Fall Saint Sass zeigt eindrucksvoll, dass vermeintliche Krisen auch Chancen bergen. Die mediale Aufmerksamkeit hat dem Berliner Label eine Bühne geboten, die mit klassischem Marketing kaum zu erreichen wäre. Nutzt solche Momente strategisch, um eure Markengeschichte weiterzuerzählen und die Community zu stärken.
Bleibt innovativ und denkt über das aktuelle Design hinaus. Die besten Marken sind immer einen Schritt voraus – wenn die Kopien auf den Markt kommen, arbeiten sie bereits an der nächsten Innovation. Diese Dynamik hält eure Marke frisch und die Mitbewerber permanent in der Nachholposition.
Markenpower statt Designkopie
Der Fall Calzedonia gegen Saint Sass ist mehr als ein isolierter Designkonflikt – er spiegelt fundamentale Herausforderungen der Kreativbranche wider. Während rechtliche Schutzmaßnahmen wichtig bleiben, liegt der wahre Wettbewerbsvorteil in einer ganzheitlichen Markenstrategie, die auf Authentizität, Community-Bindung und kontinuierlicher Innovation basiert.
Kreative Köpfe sollten diesen Fall als Anlass nehmen, ihre eigene Markenstrategie zu überprüfen und zu stärken. Denn am Ende gewinnen nicht diejenigen, die am schnellsten kopieren können, sondern die, die eine unverwechselbare Markenidentität aufbauen, die weit über einzelne Designs hinausgeht und tief in den Herzen ihrer Kunden verankert ist.
instagram.com – Reel zum Vergleich Saint Sass und Calzedonia
instagram.com – Visueller Produktvergleich
linkedin.com – Robin Lauber: David vs Goliath in Fashion
linkedin.com – Max Greger: Darf Calzedonia das?
saintsass.com – Wiesn Statement Strumpfhosen
haerting.de – Designrecht in der Mode
welt.de – Julie Zerbo: Die Anwältin für Mode
omr.com – Saint Sass: Berliner Startup verkauft Statement-Strumpfhosen an Kendall Jenner
fashionunited.uk – Plagiarism in fashion: Why is there so much counterfeiting, and is it even allowed?