Millionen Menschen im Weltraum – was klingt wie Science-Fiction, ist für Jeff Bezos greifbare Zukunftsvision. Bei einem seltenen öffentlichen Auftritt auf der Italian Tech Week in Turin verkündete der Amazon-Gründer und Blue-Origin-Chef seine Prognose: In den nächsten Jahrzehnten werden wir den Sprung ins All wagen – nicht aus Zwang, sondern aus freiem Willen. Eine Vision, die zwischen visionärem Durchbruch und realitätsferner Träumerei balanciert und die Weichen für die nächste Stufe der Raumfahrt-Ökonomie stellt.
O’Neill-Kolonien: Bezos‘ Masterplan für die Weltraumbesiedlung
Die Blaupause für Bezos‘ kosmische Zukunft stammt nicht von ihm selbst, sondern vom Physiker Gerard K. O’Neill aus den 1970er Jahren. Dessen Konzept der „O’Neill-Zylinder“ bildet das Fundament für Bezos‘ Weltraumpläne: gigantische rotierende Zylinder, die durch Zentrifugalkraft künstliche Schwerkraft erzeugen.
Diese futuristischen Habitate sind keine kleinen Raumstationen, sondern wahre Weltraum-Metropolen. Mit 32 Kilometern Länge und sechs Kilometern Breite bietet jede Kolonie Platz für mindestens eine Million Menschen. Im Inneren: eine Fläche von etwa 1300 Quadratkilometern mit natürlichen Ökosystemen, Gewässern und sogar eigenen Wettersystemen.
„Stell dir Maui am allerschönsten Tag vor, ohne Regen, ohne Stürme, ohne Erdbeben. So wäre es in den O’Neill-Kolonien jeden Tag“, schwärmt Bezos von seiner Vision paradiesischer Lebensbedingungen jenseits der Erdatmosphäre.
Der Milliardärs-Weltraum-Wettlauf: Bezos vs. Musk
Bezos‘ Ankündigung erscheint wie ein strategischer Zug im kosmischen Schachspiel gegen seinen Rivalen Elon Musk. Während Musk den Mars als zweite Heimat der Menschheit sieht und prognostiziert, dass bis 2050 eine Million Menschen den roten Planeten bewohnen könnten, setzt Bezos auf die Konstruktion künstlicher Habitate im erdnahen Orbit.
Kritische Stimmen und technische Herausforderungen
Doch nicht alle teilen Bezos‘ Begeisterung. „Ich sage nicht, dass sie nicht gebaut werden, aber ich denke, dass es wahrscheinlich einige hundert Jahre dauern wird, bevor wir in der Lage sind, etwas in dieser Größenordnung zu bauen“, dämpft der unabhängige Architekt Anthony Longman die Erwartungen.
Die Herausforderungen sind immens: Von der Materialgewinnung über die Strahlungsabschirmung bis zur Schaffung stabiler Ökosysteme müsste nahezu jedes Detail neu erfunden werden.
Elon Musk selbst reagierte wenig begeistert auf Bezos‘ Pläne: „Es ergibt keinen Sinn“, kritisierte er. „Um die Kolonie wachsen zu lassen, müsste man riesige Mengen an Masse von Planeten, Monden und Asteroiden transportieren.“
Andere Kritiker warnen vor einer „gefährlichen Illusion“ – der Weltraum sei kein Ausweg für die Probleme, die wir auf unserem eigenen Planeten verursachen. Die Erde zu retten wäre deutlich einfacher als Bezos‘ Weltraumkolonien zu bauen.
Blue Origins konkrete Schritte zur Realisierung
Trotz aller Kritik arbeitet Bezos‘ Unternehmen Blue Origin bereits an konkreten Technologien, die seine Vision vorantreiben sollen. Das „Blue Alchemist“-Programm hat in den letzten zwei Jahren beachtliche Fortschritte erzielt: Es gelang, Solarzellen und Stromübertragungsdrähte aus simulierter Monderde herzustellen – ein entscheidender Schritt für die Ressourcengewinnung im All.
Blue Origin und SpaceX entwickeln parallel Technologien, die eines Tages Menschen zu einem Leben außerhalb der Erde führen könnten. Dabei geht es nicht nur um Transportmittel, sondern um die gesamte Infrastruktur für eine nachhaltige Präsenz im All.
Der Traum eines Kindes wird zur Unternehmermission
Bezos‘ Weltraum-Ambitionen sind kein spontaner Einfall eines Milliardärs. Bereits 1982 verriet er in seiner High-School-Abschlussrede seinen wahren Traum: Der damals 18-Jährige wollte den Weltraum besiedeln und unseren Planeten zum Nationalpark erklären. In Anlehnung an „Star Trek“ schloss er mit den Worten: „Space, the final frontier. See you there.“
Heute, Jahrzehnte später, investiert er sein Amazon-Vermögen in diesen Kindheitstraum. „Ich werde nicht lange genug leben, um die Früchte dieser Arbeit zu sehen“, gesteht Bezos, „aber die Früchte dieser Arbeit sind der Bau einer Straße zum Weltraum und der Aufbau der Infrastruktur.“
Die nächste Grenze der Menschheit
Bezos‘ Vision mag ambitioniert erscheinen, doch sie reiht sich ein in die Geschichte menschlicher Expansion. Was heute utopisch wirkt, könnte morgen Realität sein – wenn nicht in Jahrzehnten, dann vielleicht in Jahrhunderten.
Die Weltraumökonomie entwickelt sich bereits jetzt rasant. Ob O’Neill-Kolonien oder andere Formen der Weltraumbesiedlung – der Weg ins All ist nicht mehr nur eine Frage des Ob, sondern des Wann und Wie.
TechCrunch – Bezos predicts that millions will live in space kind of soon
Business Insider – Jeff Bezos will Weltraumkolonien mit 1 Billion Menschen: Geht das?
ZDF heute – Der Traum vom Weltall: Amazon-Gründer Jeff Bezos und sein Einstieg in die Raumfahrt
t3n – digital pioneers – Jeff Bezos: „Dieser Planet ist so klein“ – warum die Menschheit ins All muss
Photo by Mark Wilson/Getty Images