Die europäische Kryptowelt erlebt gerade einen regulatorischen Showdown, der selbst hartgesottene Branchenveteranen aufhorchen lässt. Seit Dezember 2024 ist die MiCA-Verordnung (Markets in Crypto-Assets) vollständig in Kraft – doch statt der erhofften Harmonisierung entfaltet sich ein faszinierender Machtkampf zwischen nationalen Aufsichtsbehörden und der EU-Wertpapieraufsicht ESMA. Mittendrin: Krypto-Gigant Binance, dessen EU-Zukunft am seidenen Faden hängt.
Binance im Visier der französischen Regulierer
Die französische Bankenaufsicht ACPR hat bei einer Inspektion erhebliche Compliance-Probleme bei Binance identifiziert. Besonders die Risikokontrollsysteme des Unternehmens stehen auf dem Prüfstand. Was zunächst nach einer Routineuntersuchung klingt, entwickelt sich zum Damoklesschwert über dem weltgrößten Krypto-Exchange.
Frankreichs Regulierer haben inzwischen die Prüfungsintensität massiv erhöht. Dutzende Kryptobörsen durchlaufen aktuell strenge Geldwäsche-Checks – doch die Zeit drängt. Bis Juni 2026 müssen alle Anbieter eine vollständige MiCA-Autorisierung vorweisen können, sonst droht das EU-Aus. Die bisherige Bilanz ist ernüchternd: Von über 100 registrierten Plattformen in Frankreich haben bislang nur vier Unternehmen eine vollständige Autorisierung erhalten – eine Genehmigungsrate von mageren 4%.
Wettbewerbsvorteil durch frühe MiCA-Compliance
Während Binance mit regulatorischen Hürden kämpft, haben einige Wettbewerber bereits entscheidende Vorteile gesichert. Insgesamt 53 Krypto-Unternehmen erhielten bereits grünes Licht unter dem MiCA-Rahmen – darunter namhafte Player wie Coinbase und Kraken. Letzterer hat als erste große globale Krypto-Börse eine vollständige MiCA-Lizenz über die Zentralbank Irlands erhalten und bietet seine Dienste inzwischen in allen 30 EWR-Ländern an. Auch OKX gehört zur ersten Welle der MiCA-konformen Exchanges und kann seine Dienste EU-weit anbieten.
Der Kampf um die Kontrolle: ESMA vs. nationale Behörden
Hinter den Kulissen tobt ein faszinierender Machtkampf um die Kontrolle der MiCA-Durchsetzung. Verena Ross, Vorsitzende der ESMA, bestätigte kürzlich Pläne der Europäischen Kommission, die Aufsicht über Kryptowährungen von nationalen Regulatoren auf die zentrale EU-Behörde zu übertragen.
Der Grund: Die dezentrale Umsetzung hat zu einem Flickenteppich regulatorischer Standards geführt. Während Frankreich, Österreich und Italien eine Verschärfung und Zentralisierung fordern, wehren sich kleinere Länder wie Luxemburg, Irland und Malta vehement gegen den Machtverlust.
Malta steht besonders in der Kritik. Die ESMA bemängelte, dass das Land Lizenzen erteilt habe, während wichtige Risikobereiche wie Governance-Probleme und Cybersicherheitsbedenken ungelöst blieben. Die maltesische Finanzdienstleistungsbehörde konterte, eine Zentralisierung würde „nur eine zusätzliche Bürokratieebene einführen“.
Frankreichs nukleare Option: Passporting-Blockade
Die französische Finanzmarktaufsicht AMF erwägt einen drastischen Schritt: Krypto-Unternehmen mit MiCA-Lizenzen aus anderen EU-Staaten könnte der Marktzugang in Frankreich verwehrt werden. AMF-Chefin Marie-Anne Barbat-Layani beschreibt diesen Schritt als „sehr komplex“ und vergleichbar mit einer „Atomwaffe“ für den Markt.
Rechtlich steht diese Option auf wackligen Beinen. Edwin Mata, Anwalt und Mitgründer von Brickken, stellt klar: „Rechtlich kann die AMF eine ordnungsgemäß MiCA-lizenzierte Einheit nicht daran hindern, in Frankreich zu operieren.“ MiCA sei eine Verordnung, keine Richtlinie, was bedeute, dass sie direkt und einheitlich in allen Mitgliedstaaten gelte.
Die Stablecoin-Front: Wer überlebt, wer fällt?
Auch bei Stablecoins zeigt sich ein klares Bild von Gewinnern und Verlierern. Während Tether (USDT) noch keine MiCA-Lizenz erhalten hat und bereits von mehreren EU-Börsen delistet wurde, haben Circle (EURC, USDC), Société Générale-Forge (EURCV, USDCV) und Membrane Finance (EURe, eUSD) die regulatorische Hürde genommen.
Die meisten lizenzierten Stablecoins sind interessanterweise Euro-denominiert – ein Hinweis darauf, wohin die Reise gehen könnte.
Die Chancen im regulatorischen Sturm
Für zukunftsorientierte Krypto-Unternehmen bietet der regulatorische Umbruch enorme Chancen. Wer jetzt die Weichen richtig stellt, kann sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern. Die bisher erteilten 53 MiCA-Lizenzen zeigen: Compliance ist möglich und wird belohnt.
Die Konsequenzen für Zögerer sind allerdings drastisch. Über 540 Millionen Euro an Strafen wurden bereits an nicht-konforme Krypto-Unternehmen verhängt. Nach dem 1. Juli 2026 dürfen Firmen ohne Genehmigung nicht mehr in der EU operieren – ein hartes Ultimatum.
CCN.com – Binance Scrutinized by French Regulator, MiCA Hopes Hang in the Balance
Brave New Coin – France Ramps Up Crypto Exchange Inspections as MiCA Deadline Looms
CoinDesk – France, Austria and Italy Urge Stronger EU Oversight of Crypto Markets Under MiCA
Cointelegraph – France May Attempt To Block MiCA ‚Passports‘ For EU Crypto Firms
Finance Magnates – Kraken Launches Crypto Services Across 30 EEA Countries Under MiCA License