Während die meisten Schlagzeilen noch immer von Bitcoin und Stablecoins dominiert werden, vollzieht sich im Hintergrund ein geopolitisches Machtspiel von enormer Tragweite: der Wettlauf um die führende digitale Zentralbankwährung (CBDC). China hat mit seinem digitalen Yuan einen beeindruckenden Vorsprung erarbeitet, während Europa seinen digitalen Euro vorantreibt und die USA einen überraschenden Kurswechsel vollzogen haben. Diese Entwicklung könnte die globale Finanzarchitektur grundlegend verändern – mit weitreichenden Folgen für Unternehmen weltweit.
Chinas digitaler Yuan: Der Vorreiter mit geopolitischer Agenda
Die Zahlen sprechen für sich: Das Zahlungsvolumen des digitalen Yuan (e-CNY) hat sich in nur 14 Monaten fast verdoppelt und erreichte bis September 2025 die beeindruckende Summe von 14,2 Billionen RMB – umgerechnet etwa 2 Billionen US-Dollar. Damit ist der e-CNY nicht nur das mit Abstand größte CBDC-Projekt weltweit, sondern auch ein strategisches Instrument der chinesischen Regierung im Kampf gegen die Dollar-Dominanz.
Besonders aufschlussreich sind die Aussagen von Pan Gongsheng, Gouverneur der People’s Bank of China. Auf dem Lujiazui-Forum in Shanghai betonte er Chinas Ziel, ein „multipolares Währungssystem mit mehreren global wichtigen Währungen“ zu etablieren – ein kaum verhüllter Angriff auf die Vormachtstellung des US-Dollars. Mit der Einrichtung eines internationalen e-CNY-Betriebszentrums in Shanghai untermauert China diesen Anspruch.
Der digitale Euro: Europas Antwort auf die geopolitische Herausforderung
Die Europäische Zentralbank verfolgt mit dem digitalen Euro einen klaren strategischen Plan. Die zweijährige Vorbereitungsphase läuft noch bis Ende 2025, danach wird der EZB-Rat über die nächsten Schritte entscheiden. Im Kern geht es der EZB um drei zentrale Themen: die Reduktion der Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern im Zahlungsverkehr, die Schaffung konkreter Vorteile für Verbraucher, Handel und Banken sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung des Projekts. EU-Beamte fördern den digitalen Euro ganz offen als Mechanismus zur Stärkung der „strategischen und wirtschaftlichen Autonomie“ Europas – sowohl auf Einzelhandelsebene gegen US-Kreditkartenunternehmen als auch global zur verstärkten Nutzung des Euro als internationale Transaktionswährung.
Die überraschende US-Strategie: CBDC-Verbot und Stablecoin-Förderung
Während China und Europa ihre CBDC-Projekte vorantreiben, hat die USA unter Präsident Trump einen radikal anderen Weg eingeschlagen. Durch eine Exekutivverordnung wurde Bundesbehörden die Schaffung einer CBDC untersagt – mit der Begründung, diese könnte „die Stabilität des Finanzsystems, die individuelle Privatsphäre und die Souveränität der Vereinigten Staaten bedrohen“.
Stattdessen setzt die US-Regierung voll auf private Stablecoins. Der Vorsitzende des House Financial Services Committee bestätigte in einem Interview mit CNBC, dass führende US-Gesetzgeber glauben, eine erweiterte Stablecoin-Adoption würde den „Reservewährungsstatus“ des US-Dollars global „erweitern“ und könnte sogar den De-Dollarisierungstrend umkehren.
Diese Strategie ist bemerkenswert: Während die USA offiziell gegen CBDCs Position beziehen, fördern sie private, dollargebundene Alternativen, die letztlich denselben Zweck erfüllen – die Stärkung des US-Dollars im internationalen Finanzsystem.
Das mBridge-Projekt: Die alternative Zahlungsinfrastruktur
Besonders brisant ist die Entwicklung des mBridge-Projekts – einer grenzüberschreitenden CBDC-Plattform, die von den Zentralbanken Chinas, Hongkongs, Thailands, der Vereinigten Arabischen Emirate und neuerdings auch Saudi-Arabiens betrieben wird. Das System ermöglicht internationale Geldtransfers in Echtzeit, ohne auf das westlich dominierte SWIFT-Netzwerk angewiesen zu sein.
Die geopolitische Sprengkraft dieses Projekts zeigt sich in der Reaktion der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS), die sich im Oktober 2024 aus dem Projekt zurückzog – offenbar aus Sorge, dass diese Infrastruktur zur Umgehung westlicher Sanktionen genutzt werden könnte. Besonders alarmierend für westliche Beobachter: Der russische Präsident Putin brachte während des BRICS-Gipfels in Kasan die Idee eines alternativen, BRICS-geführten internationalen Zahlungssystems ins Spiel, was den Fokus auf Projekte wie mBridge lenkte.
Die neue Währungswelt nimmt Gestalt an
Der globale CBDC-Wettlauf hat enorm an Fahrt aufgenommen. Laut Atlantic Council erforschen mittlerweile 137 Länder und Währungsunionen, die 98% des globalen BIP repräsentieren, eine CBDC – im Mai 2020 waren es nur 35. Derzeit befinden sich 72 Länder in der fortgeschrittenen Erkundungsphase.
Für Unternehmen bedeutet diese Entwicklung sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Einerseits versprechen CBDCs deutlich schnellere und kostengünstigere internationale Transaktionen. Andererseits könnte die Fragmentierung des globalen Finanzsystems zu neuen Komplexitäten im internationalen Geschäft führen.
Digitale Währungen als geopolitisches Schachspiel
Die Entwicklung digitaler Zentralbankwährungen ist weit mehr als ein technologisches Upgrade des Finanzsystems. Sie spiegelt die tektonischen Verschiebungen in der globalen Machtbalance wider. Der Anteil des US-Dollars an den globalen Devisenreserven ist bereits von 71% (2001) auf 54,8% (2024) gesunken – ein Trend, den CBDCs weiter beschleunigen könnten.
Für Unternehmen mit internationaler Ausrichtung wird es entscheidend sein, diese Entwicklungen genau zu beobachten und frühzeitig Strategien für eine multipolare Währungswelt zu entwickeln. Der Kampf um die digitale Währungsvorherrschaft hat gerade erst begonnen – und er wird die globale Wirtschaft grundlegend verändern.
Ledger Insights – China’s digital yuan CBDC processes $2 trillion
Crypto Valley Journal – China treibt e-Yuan CBDC-Ausweitung voran
Atlantic Council – Central bank digital currencies versus stablecoins: Divergent EU and US perspectives
Banking Vision – Stablecoins vs. CBDCs: Wettlauf um die Zukunft des globalen Zahlungsverkehrs
CoinDesk – As BIS Mulls Shutting Down mBridge, Its Innovation Hub Calls The Project a ‚Public Good‘