Von Andreas Hofmann
Manchmal braucht es eine Messehalle voller Digital-Nerds, um den Puls der Branche zu fühlen. Vier Tage rund um die DMEXCO liegen hinter mir – und selten habe ich das Stimmungsbild so widersprüchlich wahrgenommen. Zwischen erwarteten Rekordbesucherzahlen und überhitzten KI-Visionen zeigt sich eine Digitalbranche, die nach ihrer Identität sucht. Während die einen das große Comeback der Messe feiern, fragen sich andere, ob hinter der glänzenden Fassade wirklich substanzielle Innovationen stehen. Eines ist jedoch klar: Die DMEXCO hat sich als unverzichtbarer Seismograph etabliert – und sendet trotz aller Widersprüche überraschend deutliche Hoffnungssignale.
Rekordzahlen und Champagnerlaune – Die DMEXCO in Zahlen und Fakten
Die Zahlen machen zumindest die Veranstalter happy: Mit über 40.000 Teilnehmern, mehr als 700 Ausstellern und rund 1.000 Speakern auf 17 Bühnen hat die DMEXCO 2025 alle bisherigen Rekorde mindestens eingestellt. Ein beeindruckendes Comeback nach den schwierigen Post-Corona-Jahren, in denen viele schon das langsame Sterben der klassischen Messeformate prophezeit hatten.
220 Stunden Programm und eine Vielzahl neuer Summit-Formate sprechen für die Innovationskraft der Veranstalter. Besonders die spezifischen Branchengipfel – vom CMO Summit bis zum Retail Media Summit – trafen den Nerv einer Branche, die nach fokussiertem Austausch lechzt. Die Koelnmesse platzte zeitweise aus allen Nähten, was nicht nur für Begeisterung sorgte, sondern auch zu organisatorischen Herausforderungen führte.
Bemerkenswert ist auch die internationale Strahlkraft: Die DMEXCO hat sich endgültig als europäischer Leuchtturm der Digitalbranche etabliert und macht sich mit ersten Expansionsschritten wie der DMEXCO ASIA auf der Tech Week Singapore auf den Weg zur globalen Marke.
Zwischen KI-Hype und Realitätscheck – Die thematischen Schwerpunkte
Wer durch die Messehallen streifte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir uns in einer Art kollektiver KI-Psychose befinden. Nahezu jeder Stand, jede Präsentation und jede Podiumsdiskussion kreiste um das Thema Künstliche Intelligenz – oft mit atemberaubenden Zukunftsvisionen, manchmal aber auch mit erschreckend wenig Substanz. Die Messestände glichen streckenweise einem Wettbewerb, wer das Wörtchen „AI“ am häufigsten in seine Marketingmaterialien einbauen konnte. Dabei wurde deutlich: Zwischen visionären Vordenkern und opportunistischen Trittbrettfahrern liegen oft nur wenige Schritte.
Die neue Ernsthaftigkeit – Datenschutz und Nachhaltigkeit gewinnen an Bedeutung
Erfrischend anders präsentierte sich der zweite große Themenkomplex der DMEXCO: Datenschutz und digitale Ethik. Hier war ein deutlicher Reifeprozess der Branche zu beobachten. Statt wie in früheren Jahren Datenschutz als lästiges Übel zu betrachten, präsentierten zahlreiche Unternehmen durchdachte Strategien, wie Datennutzung und Privatsphäre in Einklang gebracht werden können.
Die Diskussionen rund um Nachhaltigkeit in der digitalen Kommunikation zeigten ebenfalls eine neue Qualität. Während das Thema in der Vergangenheit oft als schmückendes Beiwerk behandelt wurde, stellten dieses Jahr viele Aussteller konkrete Lösungen vor, wie der ökologische Fußabdruck digitaler Kampagnen reduziert werden kann.
Besonders bemerkenswert: Die Verknüpfung von Authentizität und Vertrauen als zentrale Erfolgsfaktoren wurde nicht mehr nur in Sonntagsreden beschworen, sondern mit konkreten Strategien unterfüttert. Olivier Krueger, CMO der Lufthansa Group, brachte es auf den Punkt: „Authentizität ist kein Nice-to-have mehr, sondern der entscheidende Faktor, um das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen.“
Agenturwelt im Umbruch – Die „World of Agencies“ als Spiegel der Branche
Einen besonderen Einblick in die Zukunft der Kreativbranche bot der Bereich „World of Agencies“. Hier wurde deutlich, dass die klassische Agenturlandschaft vor einem massiven Umbruch steht. Die Grenzen zwischen Kreation, Technologie und Daten verschwimmen zunehmend.
Viele Agenturen präsentierten sich als ganzheitliche Problemlöser, die weit über klassische Kommunikationsaufgaben hinausgehen. Gleichzeitig war eine gewisse Nervosität spürbar: Kann die Kreativbranche mit der technologischen Entwicklung Schritt halten? Werden KI-Tools bald einen Teil der kreativen Arbeit übernehmen?
Die Kehrseite der Medaille – Kritik und Herausforderungen
Trotz aller Rekorde und Euphorie bleibt die DMEXCO ein Spiegelbild einer Branche mit Licht und Schatten. Die organisatorischen Herausforderungen – von überfüllten Hallen bis zu technischen Pannen bei einzelnen Präsentationen – sorgten für Unmut bei manchen Besuchern.
Der Spagat zwischen Masse und Klasse bleibt eine Herausforderung. Während einige Aussteller mit durchdachten Konzepten und hochwertigen Präsentationen glänzten, wirkten andere Stände wie hastig zusammengeschusterte Pflichtübungen. Die Heterogenität in Bezug auf Content und Ausstellungsqualität führte zu einem uneinheitlichen Gesamteindruck.
Die Speaker-Elite – Von inspirierenden Vordenkern bis zu routinierten Phrasendreschern
Mit über 1.000 Speakern bot die DMEXCO 2025 ein beeindruckendes Aufgebot an Branchenexperten. Die Qualität der Beiträge variierte jedoch erheblich. Während einige Keynotes mit tiefgründigen Analysen und mutigen Thesen begeisterten, blieben andere Vorträge an der Oberfläche und recycelten bekannte Buzzwords.
Zu den Highlights gehörten zweifellos die Beiträge von Claire-Louise Green, Vice President DX Marketing EMEA bei Adobe, die überzeugend darlegte, wie die „Kombination aus Kreativität, Technologie und KI völlig neue Möglichkeiten eröffnet“. Auch Yves Brunschwiler von Spotify lieferte wertvolle Einsichten, indem er betonte, dass „Marken, die wie Fans denken, echte Verbindungen aufbauen können“.
Ernüchternd waren hingegen jene Panels, bei denen das Publikum den Eindruck gewinnen musste, dass hier lediglich vorgefertigte PR-Statements aneinandergereiht wurden, ohne echten Erkenntnisgewinn.
Die neuen Summit-Formate – Fokussierter Austausch statt Einheitsbrei
Als besonders gelungen erwiesen sich die neuen Summit-Formate, die gezielt auf spezifische Zielgruppen zugeschnitten waren. Der DMEXCO CMO Summit bot Marketingentscheidern einen geschützten Raum für offene Diskussionen, während der DMEXCO Creators‘ Summit neue Perspektiven auf die Zusammenarbeit mit Content-Schaffenden eröffnete.
Der DMEXCO Retail Media Summit unterstrich die wachsende Bedeutung dieses Segments und lieferte konkrete Einblicke in erfolgreiche Strategien. Auch der Corporate Influencer Summit setzte wichtige Impulse für die authentische Kommunikation von Unternehmen in sozialen Netzwerken. Weitere Summits wie der DMEXCO AdTech Summit und der DMEXCO MarTech Summit werden zusätzliche Inspiration bieten.
Diese thematische Fokussierung kam bei den Besuchern gut an und könnte ein Modell für die Zukunft der Messe sein: Weniger Masse, mehr Klasse – und vor allem mehr Relevanz für spezifische Teilzielgruppen.
Der internationale Blick – DMEXCO als globaler Player
Bemerkenswert war die zunehmende internationale Ausrichtung der DMEXCO. Neben den traditionell starken deutschen und europäischen Ausstellern waren vermehrt Unternehmen aus Asien und Nordamerika vertreten. Diese globale Perspektive spiegelte sich auch im Konferenzprogramm wider, das verstärkt internationale Trends und Best Practices in den Fokus rückte.
Die angekündigte Expansion mit der DMEXCO ASIA auf der Tech Week Singapore deutet darauf hin, dass die Veranstalter die Marke DMEXCO konsequent international positionieren wollen. Eine logische Entwicklung in einer zunehmend globalisierten Digitalwirtschaft, die jedoch auch die Frage aufwirft, ob die Kölner Messe dadurch langfristig an Bedeutung verlieren könnte.
Die digitale Zukunft – Zwischen Vision und Machbarkeit
Ein wiederkehrendes Thema auf der DMEXCO 2025 war die Diskrepanz zwischen technologischen Visionen und deren praktischer Umsetzbarkeit. Während auf den Bühnen oft kühne Zukunftsszenarien entworfen wurden, zeigten die Gespräche in den Messehallen, dass viele Unternehmen noch mit der Integration grundlegender digitaler Technologien kämpfen.
Besonders augenfällig wurde diese Kluft bei den Themen Augmented Reality, Virtual Reality und Metaverse. Während einige Aussteller beeindruckende Demonstrationen präsentierten, blieb die Frage nach dem konkreten Nutzen und der Skalierbarkeit dieser Technologien oft unbeantwortet. Ein erfahrener CMO brachte es im Gespräch auf den Punkt: „Wir diskutieren über das Metaverse, während viele Unternehmen noch nicht einmal ihre E-Mail-Marketing-Kampagnen richtig personalisieren können.“
Diese Bodenhaftung ist vielleicht eine der wertvollsten Erkenntnisse der DMEXCO 2025: Nicht jeder technologische Trend muss sofort adaptiert werden. Entscheidend ist vielmehr, die richtige Balance zwischen Innovation und Machbarkeit zu finden.
E-Commerce und Omnichannel – Die stillen Stars der Messe
Während KI die Schlagzeilen dominierte, erwiesen sich die Bereiche E-Commerce und Omnichannel-Strategien als die eigentlichen Workhorses der Messe. Hier wurden konkrete Lösungen präsentiert, die unmittelbar Einfluss auf Geschäftsergebnisse haben können.
Besonders die Entwicklungen im Bereich Retail Media zeigten, wie traditionelle Grenzen zwischen Handel und Medien verschwimmen. Innovative Plattformen ermöglichen es Händlern, ihre Kundendaten für gezielte Werbung zu monetarisieren, während Marken von der hohen Conversion-Rate dieser Umfelder profitieren.
Die präsentierten Omnichannel-Strategien machten deutlich, dass die strikte Trennung zwischen Online und Offline längst überholt ist. Stattdessen geht es um nahtlose Kundenerlebnisse über alle Kontaktpunkte hinweg – eine Herausforderung, die technologisches Know-how ebenso erfordert wie ein tiefes Verständnis für Kundenverhalten.
Die DMEXCO als Hoffnungsträger – Ein Ausblick
Trotz aller Kritikpunkte und Herausforderungen hat die DMEXCO 2025 gezeigt, dass sie mehr ist als nur eine weitere Digitalkonferenz. In einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit und technologischer Umbrüche fungiert sie als wichtiger Orientierungspunkt für die gesamte Branche.
Die erwarteten Rekordteilnehmerzahlen belegen, dass der persönliche Austausch auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar bleibt. Die DMEXCO bietet einen Raum, in dem Trends nicht nur präsentiert, sondern kritisch hinterfragt werden können – eine Funktion, die in Zeiten von Filterblasen und algorithmisch kuratiertem Content zunehmend wichtig wird.
Für die DMEXCO 2026, die bereits für den 23. und 24. September 2026 angekündigt ist, zeichnen sich bereits jetzt einige Entwicklungslinien ab: Die thematische Fokussierung dürfte weiter zunehmen, ebenso wie die internationale Ausrichtung. Gleichzeitig wird die Balance zwischen Innovation und Praxisrelevanz eine zentrale Herausforderung bleiben.
Was bleibt von der DMEXCO 2025?
Am Ende bleibt die DMEXCO 2025 ein faszinierendes Spiegelbild einer Branche im Umbruch. Sie zeigt eine Digitalwirtschaft, die zwischen Euphorie und Realitätssinn, zwischen technologischer Vision und pragmatischer Umsetzung navigiert.
Die eigentliche Stärke der Messe liegt vielleicht genau in dieser Ambivalenz: Sie bietet Raum für kühne Zukunftsvisionen, konfrontiert diese aber gleichzeitig mit den praktischen Herausforderungen des Alltags. Sie vereint globale Tech-Giganten und innovative Start-ups, etablierte Agenturen und disruptive Newcomer.
In dieser Vielfalt und diesem produktiven Spannungsfeld liegt das eigentliche Potenzial der DMEXCO als Hoffnungsträger der Digitalbranche. Sie ist mehr als die Summe ihrer Aussteller, Speaker und Besucher – sie ist ein unersetzlicher Gradmesser für den Zustand und die Zukunftsfähigkeit der digitalen Wirtschaft.
Warum ist das wichtig?
Die DMEXCO 2025 hat deutlich gezeigt, dass die digitale Transformation kein vorübergehender Trend, sondern eine fundamentale Neuausrichtung der Wirtschaft ist. Für euch bedeutet das:
- Die Kombination aus KI, Kreativität und Daten wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil – wer hier nicht investiert, verliert den Anschluss.
- Authentizität und Vertrauen entwickeln sich zu harten Wirtschaftsfaktoren – oberflächliches Purpose-Marketing wird zunehmend durchschaut.
- Die Grenzen zwischen Technologie, Kreation und Vertrieb verschwimmen – erfolgreiche Unternehmen denken nicht mehr in Silos, sondern in integrierten Kundenerlebnissen.
(c) Foto: DMEXCO