Wenn sich Industrie-Bosse treffen, um übers Business zu sprechen, dann meist diskret, wo man sie nicht unbedingt sieht. Normalerweise läuft das so: Führungskräfte treffen sich in geschlossenen Räumen, diskutieren Verträge unter Ausschluss der Öffentlichkeit und kommunizieren Partnerschaften erst, wenn alles unterschrieben ist. Das ist professionell, das ist üblich, das ist der Standard.
Was man normalerweise nicht tut: Sich mit zwei der mächtigsten Manager Südkoreas in einen Hähnchen-Laden setzen, direkt ans Fenster, wo jeder vorbeilaufende Passant zuschauen kann. Und dann auch noch für Fotos posieren, Essen an Schaulustige verteilen und eine komplette Branche in Aufregung versetzen.
Jensen Huang, CEO von Nvidia, hat genau das getan – und dahinter steckt mehr als nur Appetit auf Hähnchen.
Die Inszenierung: Drei Chaebol-Giganten im Schaufenster
Am Donnerstagabend spielte sich in Seouls Nobel-Viertel Gangnam eine Szene ab, die man getrost als Meisterwerk strategischer Kommunikation bezeichnen kann. Nvidia-CEO Huang (erkennbar an seiner mittlerweile ikonischen schwarzen Lederjacke) traf sich mit Samsung-Chairman Lee Jae-yong und Hyundai-Chef Chung Eui-sun zum „Chimaek“ – der in Südkorea kultigen Kombination aus Hähnchen und Bier.
Soweit, so normal. Könnte man meinen.
Wäre da nicht die Kleinigkeit, dass das Trio sich genau vor die Fenster der Kkanbu-Chicken-Filiale setzte. Mit direktem Blick für Passanten, Fotografen und die gesamte südkoreanische Medienlandschaft. Lee und Chung – normalerweise so öffentlichkeitsscheu wie Eichhörnchen im Winter – prosteten sich mit verschränkten Armen zu, während draußen die Smartphones glühten.
Huang selbst legte noch eine Schippe drauf: Er verließ mehrfach den Tisch (den „Milliardärs-Tisch“, wie ihn lokale Medien tauften), verteilte Hähnchen-Portionen an Schaulustige und verkündete lächelnd: „Ich liebe Hähnchen, ich liebe Bier, und ich liebe beides mit meinen Freunden.“
Die Frage, die sich stellt: Warum diese Show?
Hier wird’s interessant. Denn man muss kein PR-Stratege sein, um zu erkennen: Das war kein Zufall. Das war Choreographie.
Drei der mächtigsten Tech-Manager Asiens inszenieren sich bewusst volksnah, zugänglich, „einer von uns“ – in einem Land, in dem Chaebol-Bosse traditionell Distanz wahren. Warum?
Möglichkeit 1: Kulturelle Brücke
Huang zeigt, dass er die koreanische Kultur versteht und respektiert. Chimaek ist nicht irgendein Essen – es ist soziales Kapital. Wer mit den Local Heroes Hähnchen isst, gehört dazu.
Möglichkeit 2: Demokratisierung der Elite
In Zeiten, in denen Tech-CEOs zunehmend als abgehobene Oligarchen wahrgenommen werden, braucht es Gegenprogramm. (Siehe: Jeder andere Milliardär, der verzweifelt versucht, auf Social Media „relatable“ zu wirken.)
Möglichkeit 3: Die Ankündigung selbst
Und hier kommen wir zum Kern: Huang war nicht zum Spaß in Seoul. Er war auf dem APEC-CEO-Gipfel, um 260.000 hochmoderne KI-Chips im Wert von mehreren Milliarden Dollar an Samsung und Hyundai zu liefern. Das ist nicht irgendein Deal – das ist die Grundlage für Südkoreas KI-Offensive in Halbleitern, Robotik und autonomem Fahren.
Der PR-Stunt als Vertragssignatur?
Nennen wir es beim Namen: Das Hähnchen-Dinner war der Deal-Closer in Öffentlichkeitsarbeit gegossen.
Statt einer sterilen Pressekonferenz in einem Hilton-Ballsaal gab’s Authentizität™ mit Bier und Knochen-im-Eimer. Die Botschaft: „Wir sind Partner. Echte Partner. Keine Corporate-Hülsen, sondern Menschen, die zusammen Erfolg haben wollen.“
Und die Rechnung? Die übernahm Huang persönlich – stolze 1.800 Dollar für alle Gäste im Restaurant.
Seine handgeschriebene Notiz an die koreanischen Partner: „Auf unsere Partnerschaft und die Zukunft der Welt.“Das ist entweder außergewöhnlich pathetisch – oder außergewöhnlich clever.
Die absurden Folgen: Wenn Hähnchen-Aktien durchstarten
Jetzt wird’s komisch: Am nächsten Morgen explodierten südkoreanische Geflügel-Aktien. Kyochon F&B, eine der größten Hähnchen-Ketten des Landes, schoss um 20 Prozent nach oben. Der Hühnerfleisch-Verarbeiter Cherrybro knallte an die Tagesgrenze mit +30 Prozent. Selbst Neuromeka – ein Hersteller von Hähnchen-Frier-Robotern (ja, die gibt es) – verzeichnete Kursgewinne.
Kkanbu Chicken selbst ist nicht börsennotiert, aber das Personal berichtete von ausverkauften Filialen im ganzen Land.
Das ist Jensanity – der südkoreanische Hype um Jensen Huang, der mittlerweile absurde Züge annimmt. Und es zeigt ein bekanntes Muster: Retail-Investoren jagen Meme-Aktien, die durch kulturelle Momente befeuert werden. (Spoiler: Das endet oft nicht gut für die Kleinanleger, aber hey, YOLO und so.)
Die nüchterne Wahrheit dahinter
Lassen wir die Hähnchen-Hysterie mal beiseite: Das eigentliche Signal ist die strategische Partnerschaft.
260.000 GPUs sind die Hardware-Grundlage für Südkoreas Ambitionen im KI-Wettlauf. Samsung braucht Nvidia, um in der Chip-Produktion gegen TSMC bestehen zu können. Hyundai braucht die Rechenpower für autonome Fahrzeuge und Robotik. Und Nvidia? Nvidia braucht beide als Kunden und Partner, um die Dominanz in Asien zu sichern.
Das Dinner war kein privates Vergnügen. Es war die visuell verpackte Ankündigung einer milliardenschweren Allianz – mit maximaler Reichweite und minimalem Marketing-Budget – wir erinnern uns: 1.800 Dollar für Hähnchen.
Ist das zynisch? Vielleicht.
Ist das effektiv? Absolut.
Müssen wir uns als Kommunikations-Profis davon eine Scheibe abschneiden? Ich denke ja.
Was bedeutet das für Dich?
- Inszenierung schlägt Information: Wenn Du wichtige Partnerschaften oder Deals kommunizieren willst, denk nicht in Pressemitteilungen – denk in Bildern und Geschichten. Die emotionale Ebene transportiert die Botschaft weiter als jede rationale Aufzählung von Zahlen. Huang hat mit einem Hähnchen mehr erreicht als mit hundert LinkedIn-Posts.
- Cultural Codes sind Deine Geheimwaffe: Ob Du in neue Märkte expandierst oder lokale Partner gewinnst – zeig, dass Du ihre Kultur verstehst und respektierst. Das geht nicht mit oberflächlichem „We love Korea“-Gerede, sondern mit echten Gesten. Chimaek war nicht irgendein Essen – es war das richtige Signal zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
- Sichtbarkeit ist kein Zufall, sondern Strategie: Die drei Bosse saßen bewusst am Fenster. Sie wählten bewusst keinen VIP-Raum. Das war kalkulierte Öffentlichkeit. Wenn Du wichtige Kooperationen eingehst, überlege: Wie kannst Du die Partnerschaft nicht nur ankündigen, sondern erlebbar machen? Wo ist Dein Schaufenster, an dem die richtigen Leute vorbeikommen?
CNN Business – Umfassende Darstellung des Events mit Details zur Rechnung und den Reaktionen der Öffentlichkeit
The Korea Herald – Lokale Perspektive auf das „Chimaek-Summit“ mit kulturellen Hintergründen und Marktreaktionen
The Korea Times – Berichterstattung über Huangs Korea-Besuch und die Bedeutung des Treffens für die südkoreanische Tech-Industrie
The Asia Business Daily – Details zu den persönlichen Momenten beim Dinner und den Social-Media-Reaktionen
Photo by Woohae Cho/Getty Images