Während Streaming-Dienste die Schlagzeilen dominieren, vollzieht das klassische Fernsehen eine beeindruckende Transformation. Die aktuelle Studie „The Beauty of TV“ enthüllt: Trotz Netflix, Amazon Prime und Co. bleibt TV ein zentraler Bestandteil im Medienmix der Deutschen – mit Qualitäten, die kein anderes Medium bieten kann. Was auf den ersten Blick überrascht, ist bei näherem Hinsehen logisch: Das Fernsehen hat sich neu erfunden, ohne seine Kernstärken zu verlieren. Statt vom digitalen Wandel überrollt zu werden, nutzt es die Technologie für sein Comeback.
Der unterschätzte Riese: TV behauptet seine Position im Streaming-Zeitalter
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 81 Prozent der deutschen Zuschauer schauen immer noch überwiegend klassisches Fernsehen. Das ist nur minimal weniger als vor drei Jahren (83 Prozent) – von einem dramatischen Einbruch kann also keine Rede sein. Die von vielen Experten vorhergesagte TV-Apokalypse ist ausgeblieben.
Besonders bemerkenswert: Drei von vier Befragten (75 Prozent) sind überzeugt, dass sie auch in fünf Jahren noch Live-TV nutzen werden. Mehr als die Hälfte davon plant sogar, dies regelmäßig oder zumindest gelegentlich zu tun. Das Fernsehen ist also weit davon entfernt, ein Auslaufmodell zu sein.
Diese Stabilität überrascht in einer Zeit, in der Streaming-Dienste mit Milliardenbudgets um die Aufmerksamkeit der Zuschauer buhlen. Doch genau hier liegt der Schlüssel zum Verständnis: TV und Streaming existieren nicht in einem Nullsummenspiel, sondern ergänzen sich in einer zunehmend fragmentierten Medienwelt.
Gesellschaftliche Relevanz: Warum TV in Krisenzeiten unverzichtbar bleibt
Die „Beauty of TV“-Studie von Delphi Research räumt mit dem Vorurteil auf, Fernsehen hätte keine gesellschaftliche Relevanz mehr. Ganz im Gegenteil: Gerade wenn es ernst wird, braucht die Gesellschaft das Fernsehen. Dieses Phänomen zeigte sich bereits während der Corona-Pandemie und setzt sich in der aktuellen Zeit multipler Krisen fort. TV funktioniert als gesellschaftlicher Kitt, der Information, Orientierung und ein Gefühl der Gemeinschaft vermittelt.
Die komplementäre Mediennutzung: Jedes Medium hat seinen Platz
Ein zentrales Ergebnis der Screenforce-Studie: TV wird nicht gegen, sondern mit anderen Medien genutzt. Die verschiedenen Plattformen bieten unterschiedliche Mehrwerte und bedienen verschiedene Nutzungssituationen.
Video- und Social-Media-Plattformen erfüllen primär das Bedürfnis nach kurzer Ablenkung und schnellem Eskapismus. Sie sind die digitalen Snacks für zwischendurch – konsumiert auf dem Smartphone, oft nebenbei und mit geteilter Aufmerksamkeit.
Fernsehen hingegen bietet ein vollständig anderes Erlebnis. Es wird typischerweise auf dem großen Bildschirm konsumiert, in entspannter Atmosphäre und mit höherer Aufmerksamkeit. Die redaktionell kuratierten Inhalte schaffen Vertrauen und Verlässlichkeit in einer Zeit, in der Fake News und Desinformation allgegenwärtig sind.
Ein weiterer entscheidender Vorteil des Fernsehens: Es befreit von der Last der Entscheidung. In einer Welt, in der wir täglich tausende Entscheidungen treffen müssen, bietet lineares TV eine willkommene Entlastung. Statt durch endlose Kataloge zu scrollen, können sich Zuschauer zurücklehnen und von professionellen Programmgestaltern überraschen lassen.
Das Beste aus beiden Welten: Wie sich TV technologisch neu erfindet
Die Digitalisierung hat die Produktions- und Distributionsprozesse des Fernsehens grundlegend verändert. All-IP wird zum Standard für TV und Video, während schnelle Glasfasernetze und 5G eine flexiblere und mobilere Nutzung ermöglichen.
Künstliche Intelligenz und fortschrittliche Analytik sorgen für immer bessere Empfehlungsfunktionen, die das Beste aus linearem und non-linearem Fernsehen verbinden. Der Smart-TV etabliert sich dabei als zentrales Gerät für das moderne TV-Erlebnis. Mit 65 Prozent bevorzugen immer mehr Menschen den großen Bildschirm – ein Anstieg von vier Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr und beachtlichen 16 Prozent in den letzten fünf Jahren.
TV-Streaming als Brücke zwischen Welten
Der TV-Empfang über das Internet bleibt mit 45 Prozent die bevorzugte Wahl vieler Deutscher, während klassische Empfangswege wie Kabel (28 Prozent) und Satellit (30 Prozent) weiter an Bedeutung verlieren.
Rund ein Viertel der Deutschen nutzt TV-Streaming bereits als Hauptempfangsweg für ihr Fernsehprogramm. Diese Entwicklung unterstreicht, dass sich Internet-TV als führender Empfangsweg etabliert hat. Interessanterweise bedeutet dies nicht das Ende des linearen Fernsehens, sondern seine Transformation.
Werbewirkung: Warum TV für Marken unverzichtbar bleibt
Für werbetreibende Unternehmen bietet TV – ob linear oder als Broadcaster Video on Demand (BVOD) – nach wie vor entscheidende Vorteile. Marken profitieren von einem schnellen Reichweitenaufbau und der Möglichkeit, starke Emotionen zu erzeugen.
„Die Unternehmen setzen wieder mehr auf Branding; das geht aber nur mit TV“, erklärt Malte Hildebrandt, Geschäftsführer der TV-Gattungsinitiative Screenforce. Er betont: „Keine Marke kann man rein über Social Media aufbauen – auf TikTok zum Beispiel liegt die Verweildauer bei Werbemitteln bei weniger als einer Sekunde.“
Ein weiterer Pluspunkt: Fernsehen wird als glaubwürdigstes Medium wahrgenommen. Diese Glaubwürdigkeit überträgt sich auf die Marken, die dort werben – ein Asset, das in Zeiten von Fake News und schwindendem Vertrauen kaum zu überschätzen ist.
Die Qualitätsunterschiede bei der Werbewahrnehmung
Die Art, wie Werbung konsumiert wird, unterscheidet sich fundamental zwischen TV und digitalen Plattformen. TV-Werbung wird in entspannter Verfassung mit hoher Aufmerksamkeit auf dem großen Bildschirm geschaut – immer im Vollbild und mit Ton.
Werbung auf Video- und Social-Media-Plattformen hingegen wird überwiegend auf dem Smartphone konsumiert, mehrheitlich nicht mit voller Bildschirmabdeckung und mit deutlich geringerer Aufmerksamkeit. Diese qualitativen Unterschiede in der Werbewahrnehmung sind entscheidend für die Wirksamkeit von Kampagnen.
Die Herausforderung für Marketingverantwortliche liegt darin, die Stärken beider Welten zu nutzen: Die Reichweite und emotionale Kraft des Fernsehens mit der Zielgenauigkeit und Interaktivität digitaler Kanäle zu verbinden.
Generationenunterschiede: TV im demografischen Wandel
Die Nutzungsgewohnheiten unterscheiden sich erwartungsgemäß stark nach Altersgruppen. Insgesamt entfallen laut ARD/ZDF-Analyse noch 64 Prozent der Video-Zeit auf lineares Fernsehen. Bei den unter 30-Jährigen sind es allerdings nur 22 Prozent, während bei den 30- bis 49-Jährigen immerhin noch die Hälfte (51 Prozent) auf klassisches TV entfällt.
Diese Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit für TV-Sender, ihre digitalen Angebote kontinuierlich weiterzuentwickeln, ohne ihre Kernstärken zu vernachlässigen. Die Mediatheken der Sender haben sich mit 48 Prozent Nutzungsanteil als feste Größe im digitalen Ökosystem etabliert – direkt hinter YouTube (61 Prozent) und deutlich vor vielen reinen Streaming-Diensten.
Die demografische Herausforderung besteht darin, jüngere Zielgruppen nicht zu verlieren und gleichzeitig die treue ältere Kernzielgruppe zu halten. Sender, die beide Welten erfolgreich verbinden können, werden die Gewinner des digitalen Wandels sein.
Die Magie der Gemeinschaft: TV als soziales Bindeglied
In einer Zeit zunehmender Individualisierung bietet Fernsehen etwas, das Streaming-Dienste kaum leisten können: kollektive Erlebnisse und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Während die vergangenen Jahrzehnte von einem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Unabhängigkeit und Individualität geprägt waren, schafft TV Momente der Verbundenheit.
„Die Menschen sind nicht mehr zufrieden mit dem, was alle haben, jeder will für sich etwas Maßgeschneidertes“, beschreibt die Studie diesen Trend. Vor diesem Hintergrund hat das lineare Fernsehen einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Medien: den Zauber von Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Großereignisse wie Olympische Spiele, Fußball-Weltmeisterschaften oder nationale Events schaffen kollektive Erlebnisse, die Menschen über alle demografischen Grenzen hinweg verbinden. Diese gemeinschaftsstiftende Kraft des Fernsehens ist in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft von unschätzbarem Wert.
Fernsehen erzeugt mehr als nur Unterhaltung – es kreiert Momente, die Menschen berühren und verbinden. Diese Magie entsteht nicht allein durch den Content selbst, sondern durch die Art und Weise, wie er gemeinsam erlebt wird.
Wirtschaftliche Realitäten: Streaming-Kosten und Werbemarkt
Die wirtschaftliche Situation beeinflusst zunehmend die Mediennutzung. 17 Prozent der Befragten gaben an, im vergangenen Jahr ein Streaming-Abo aus finanziellen Gründen gekündigt zu haben – eine unveränderte Zahl im Vergleich zum Vorjahr.
Mit der wachsenden Zahl an Streaming-Diensten und den kontinuierlichen Preiserhöhungen erreichen viele Haushalte ihre Budgetgrenzen. Das kostenfreie, werbefinanzierte Fernsehen gewinnt in diesem Kontext wieder an Attraktivität.
Auch auf dem Werbemarkt zeigen sich Veränderungen. Die Werbegelder werden inzwischen auf verschiedene Bewegtbildplattformen verteilt, wobei der Gesamtmarkt nicht proportional wächst. Für Werbungtreibende geht es zunehmend darum, die gesamte Bewegtbildnutzung abzudecken und die Mediabudgets integriert zu planen.
Die Balance zwischen Innovation und Tradition
Die Zukunft des Fernsehens liegt in der Balance zwischen Innovation und Tradition. Erfolgreiche TV-Anbieter setzen auf hybride Strategien, die das Beste aus beiden Welten vereinen: die Verlässlichkeit und gemeinschaftsbildende Kraft des linearen Fernsehens mit der Flexibilität und Personalisierungsmöglichkeiten digitaler Plattformen.
Video-on-Demand setzt sich in der Breite durch, doch zugleich behauptet das traditionelle, lineare Fernsehen weiterhin seine Rolle – insbesondere im Bereich populärer Live-Inhalte wie Sport- und Großveranstaltungen. Diese Koexistenz wird die Medienlandschaft der kommenden Jahre prägen.
Die Screenforce-Initiative, die als Zusammenschluss der TV-Vermarkter in Deutschland, Österreich und der Schweiz 95 Prozent des TV-Werbemarktes in der DACH-Region repräsentiert, setzt genau hier an. Ihr Fokus auf Forschung, Marketing und Kommunikation für die Gattung TV und Bewegtbild trägt dazu bei, die Stärken des Mediums zu kommunizieren und weiterzuentwickeln.
Der Bildschirm als Lagerfeuer: Warum wir TV mehr denn je brauchen
In einer Zeit, in der digitale Technologien unser Leben in immer kleinere, individualisierte Erfahrungen zersplittern, gewinnt das gemeinschaftliche TV-Erlebnis eine neue Bedeutung. Der Fernseher wird zum modernen Lagerfeuer, um das sich Familie und Freunde versammeln – sei es physisch im Wohnzimmer oder virtuell durch parallele Nutzung und Austausch in sozialen Medien.
Die „Beauty of TV“-Studie zeigt: Fernsehen ist nicht nur überlebensfähig im digitalen Zeitalter, sondern gewinnt durch den Kontrast zur individualisierten Streaming-Welt sogar an Bedeutung. Es bietet Orientierung in einer komplexen Informationswelt, schafft geteilte Erlebnisse in einer fragmentierten Gesellschaft und ermöglicht Entspannung in einer Welt permanenter Entscheidungen.
Die Zukunft gehört nicht entweder dem Streaming oder dem klassischen TV – sie gehört hybriden Modellen, die die Stärken beider Welten vereinen. Das Fernsehen hat bewiesen, dass es anpassungsfähig ist und sich kontinuierlich neu erfinden kann. Diese Fähigkeit zur Transformation wird auch in Zukunft sein größtes Asset bleiben.
turi2.de – Termin-Tipp: Screenforce-Studie untersucht Vorurteile zur TV-Nutzung
screenforce.de – Screenforce auf dem Horizont Kongress: TV als Antwort auf die Wünsche der CMOs
digitalfernsehen.de – TV-Streaming-Report 2025: Fernsehgewohnheiten in Deutschland verändern sich
zattoo.com – TV-Streaming-Report 2025 Deutschland
deloitte.com – Zukunftsszenarien für die TV- und Video-Branche 2030
blog.medientage.de – Die Trends rund um TV und Streaming
nielsen.com – Streaming Takes Center Stage in Germany as Traditional TV Viewership Declines