Wer von uns kennt es nicht: Da sitzt diese 23-jährige Berufseinsteigerin im Meeting, schaut demonstrativ auf die Uhr und verkündet, dass sie jetzt gehen muss – pünktlich um 17 Uhr. Der Boomer-Chef schüttelt den Kopf, murmelt etwas von „keine Arbeitsmoral“ und tauscht vielsagende Blicke mit seinen langjährigen Führungskräften. Eine Szene, die sich täglich in Unternehmen abspielt. Doch was, wenn wir das Ganze mal umdrehen? Vielleicht ist nicht die Gen Z das Problem, sondern ein Führungsstil, der so frisch ist wie die Krawatte des mittleren Managements – aus den 90ern und längst aus der Mode.
Der Mythos der faulen Gen Z – und warum er so hartnäckig ist
Lassen wir die Fakten sprechen: Laut einer Deloitte-Umfrage von 2023 betrachten 49% der Gen Z ihre Arbeit als wichtiger für ihre Identität als Sport, Musik oder Hobbys. Nur Familie und Freunde rangieren noch höher. Und 32% der Gen Z glauben sogar, dass sie die härtesten Arbeiter sind. Das klingt nicht gerade nach einer Generation, die keine Lust auf Arbeit hat.
Der wahre Knackpunkt ist ein anderer: Gen Z lebt nicht, um zu arbeiten – sie arbeiten, um zu leben. Ein fundamentaler Unterschied, der von vielen Führungskräften als Faulheit fehlinterpretiert wird. Während der 55-jährige Abteilungsleiter es als Ehrenabzeichen trägt, dass er seit 25 Jahren Überstunden macht und seinen Jahresurlaub nie vollständig nimmt, sieht die 24-jährige Mitarbeiterin darin kein Erfolgsmodell, sondern ein Warnsignal.
Diese Generation hat die Burnout-Kultur ihrer Eltern miterlebt und sagt: „Nein, danke.“ Sie haben beobachtet, wie ihre Eltern für Unternehmen geschuftet haben, die sie bei der ersten Gelegenheit entlassen haben. Sie haben die wirtschaftlichen Krisen, die Pandemie und die zunehmende Prekarisierung der Arbeitswelt erlebt. Ist es da wirklich verwunderlich, dass sie Grenzen setzen?
Führungsstile der 90er: Als Hierarchie noch sexy war
Werfen wir einen Blick zurück in die 90er Jahre, als viele der heutigen Führungskräfte ihre prägenden Berufsjahre erlebten. Command-and-Control war das Mantra, hierarchische Strukturen das unantastbare Grundgerüst der Unternehmenswelt. Der Chef sagte, wo es langgeht, und die Mitarbeiter folgten – zumindest war das die Theorie. Führung bedeutete damals vor allem Kontrolle, klare Befehlsketten und zentralisierte Entscheidungsfindung.
Diese Führungsphilosophie entstand nicht zufällig, sondern war eine logische Konsequenz ihrer Zeit: Die meisten Arbeitnehmer hatten keinen Hochschulabschluss, viele Tätigkeiten waren manuell und repetitiv, und Veränderungen vollzogen sich in einem Tempo, das aus heutiger Sicht geradezu gemächlich wirkt. In diesem Kontext machte es durchaus Sinn, dass Manager Aufgaben definierten und Arbeiter koordinierten, um sich in eine einheitliche Richtung zu bewegen – wie ein gut geöltes Uhrwerk, in dem jedes Zahnrad seinen festen Platz hat.
Warum Gen Z andere Führung braucht – und verdient
Die Arbeitswelt hat sich fundamental verändert, aber viele Führungsstile sind in der Vergangenheit steckengeblieben. Gen Z betritt einen Arbeitsmarkt, der von Wissensarbeit, rasantem Wandel und globaler Vernetzung geprägt ist. Sie sind die erste Generation, die als echte „Digital Natives“ aufgewachsen ist – nicht nur mit dem Internet, sondern mit sozialen Medien, Cloud-Computing und Smartphones als selbstverständliche Alltagsbegleiter.
Diese Generation hat durch ihre Online-Erfahrungen – ja, auch durch Multiplayer-Spiele – erstaunliche Fähigkeiten in Sachen Teamwork und digitaler Kommunikation entwickelt. Sie sind es gewohnt, in flachen Hierarchien zu denken, schnell Informationen zu verarbeiten und kollaborativ zu arbeiten.
Kein Wunder also, dass sie mit autoritären Führungsstilen auf Kriegsfuß stehen. Laut Stanford-Forschung bevorzugt Gen Z Führungsmodelle, bei denen Teammitglieder abwechselnd die Führung übernehmen („rotating leadership“) oder kollaborative Ansätze, bei denen Menschen aus der gesamten Organisation an Entscheidungsfindung und Problemlösung teilnehmen.
Für sie ist eine gute Führungskraft nicht jemand, der Anweisungen erteilt, sondern jemand, der als Coach und Mentor agiert, der authentisch ist und durch Expertise überzeugt – nicht durch Titel oder Position.
Das Authentizitäts-Radar: Warum ihr Gen Z nicht täuschen könnt
Eines der faszinierendsten Merkmale der Gen Z ist ihr fein abgestimmtes „Authentizitäts-Radar“. Aufgewachsen in einer Ära, in der Influencer ihre Social-Media-Personas perfekt kuratieren, haben sie gelernt, blitzschnell zu erkennen, wenn jemand nicht authentisch ist. Sie spüren sofort, wenn da eine Diskrepanz zwischen dem besteht, was jemand sagt und wer diese Person wirklich ist.
Für Führungskräfte bedeutet das: Ihr könnt diese Generation nicht mit wohlklingenden Phrasen über Unternehmenskultur beeindrucken, wenn eure täglichen Handlungen eine andere Sprache sprechen. Gen Z erwartet Transparenz – sei es bei der Haltung des Unternehmens zu gesellschaftspolitischen Themen, bei der Schaffung einer inklusiven Arbeitskultur oder rund um Gehalt und Vergütung.
Feedback ist kein Nice-to-have, sondern ein Must-have
Ein weiteres hartnäckiges Missverständnis: Gen Z sei nicht empfänglich für Feedback. Das Gegenteil ist der Fall! Diese Generation dürstet geradezu nach konstruktiver Kritik und regelmäßiger Rückmeldung.
Laut Forschungsergebnissen wünschen sich satte 66% der Gen Z Feedback von ihren Vorgesetzten mindestens alle paar Wochen, um in ihren Jobs zu bleiben. Zum Vergleich: Weniger als die Hälfte der Millennials benötigt dasselbe Maß an regelmäßigem Feedback.
Der entscheidende Unterschied liegt nicht darin, ob Feedback gewünscht wird, sondern wie es vermittelt werden sollte. Gen Z erwartet eine offene, ehrliche und konstruktive Kommunikation auf Augenhöhe – keine herablassende Kritik oder vage Andeutungen. Sie wollen wissen, wo sie stehen, was sie verbessern können und wie sie weiterkommen.
Die Technologie-Falle: Warum „Digital Natives“ nicht automatisch Tech-Experten sind
„Die sind doch mit Smartphones aufgewachsen, die kennen sich mit Technologie aus!“ – ein Trugschluss, der in vielen Unternehmen für Frustration auf beiden Seiten sorgt. Ja, Gen Z ist mit digitalen Technologien groß geworden, aber das bedeutet nicht, dass sie automatisch jede Unternehmenssoftware beherrschen oder mit jedem Legacy-System umgehen können.
Tatsächlich erleben viele jüngere Mitarbeiter etwas, das als „Tech-Scham“ bezeichnet wird – das unangenehme Gefühl, bestimmte Arbeitsplatz-Tools nicht zu verstehen, obwohl alle von ihnen erwarten, dass sie als „Digital Natives“ damit vertraut sein müssten. Die Wahrheit ist: Geschickt mit sozialen Medien und Smartphones umgehen zu können, bedeutet nicht automatisch, professionelle Software oder komplexe Bürosysteme zu beherrschen.
Was Gen Z jedoch mitbringt, ist eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, neue digitale Werkzeuge schnell zu erlernen – vorausgesetzt, sie erhalten die nötige Unterstützung und Schulung.
Wie moderne Führung aussieht: Von der Hierarchie zum Netzwerk
Wenn traditionelle Führungsmodelle für Gen Z nicht funktionieren, was ist dann die Alternative? Die Antwort liegt in transformationaler Führung – einem Ansatz, der auf Inspiration, intellektuelle Stimulation und individuelle Berücksichtigung setzt.
Transformationale Führungskräfte inspirieren durch eine überzeugende Vision, fördern kreatives Denken und gehen auf die individuellen Bedürfnisse und Stärken ihrer Teammitglieder ein. Sie schaffen eine Umgebung, in der Menschen wachsen und ihr volles Potenzial entfalten können.
Für Gen Z ist dieser Führungsstil wie maßgeschneidert. Sie wollen Führungskräfte, die freundlich, zugänglich und bodenständig sind – nicht distanziert und formal. Sie schätzen Konsens und suchen nach Führungspersönlichkeiten, die im Dienst der Gruppe stehen („service leadership“).
Erfolgreiche Führung in der heutigen Zeit bedeutet, Hierarchien abzubauen und netzwerkartige Strukturen zu schaffen, in denen Informationen frei fließen und Entscheidungen dort getroffen werden, wo das Wissen und die Expertise liegen – unabhängig von Titeln oder Positionen in der Organisationshierarchie.
Die Work-Life-Balance-Revolution: Grenzen sind gesund
Ein zentraler Konfliktpunkt zwischen traditionellen Führungskräften und Gen Z ist die Frage der Work-Life-Balance. Für 78% der Gen Z ist eine nachhaltige Work-Life-Balance der Schlüssel zum Karriereerfolg. Sie definieren Produktivität nicht über gearbeitete Stunden, sondern über Ergebnisse.
Wenn Gen Z-Mitarbeiter pünktlich Feierabend machen, eine volle Mittagspause nehmen oder „Nein“ zu Überstunden sagen, ist das kein Zeichen von mangelndem Engagement oder fehlender Loyalität – es ist der Ausdruck gesunder Grenzen und eines nachhaltigen Arbeitsethos.
Diese Generation hat aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Sie haben gesehen, wie Burnout, Stress und chronische Erschöpfung zum Alltag vieler Arbeitnehmer geworden sind, und sie sind entschlossen, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Kluge Führungskräfte erkennen, dass diese Haltung langfristig nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch dem Unternehmen zugutekommt. Denn ausgeruhte, ausgeglichene und zufriedene Mitarbeiter sind nachweislich produktiver, kreativer und loyaler als ausgebrannte Workaholics.
Die Führungsambitionen der Gen Z: Unterschätzt sie nicht!
Ein weiteres Vorurteil, das dringend korrigiert werden muss: Gen Z mangelt es an Ehrgeiz und Führungsambitionen. Die Realität sieht anders aus. Diese Generation strebt durchaus nach Verantwortung und Führungsrollen – nur definieren sie Erfolg anders als frühere Generationen.
Laut einem LinkedIn-Bericht haben Gen Z-Mitarbeiter, die planen, ihre aktuellen Jobs zu verlassen, die klarsten Jobsuchziele aller Generationskohorten: 61% gaben an, dass sie nach Möglichkeiten suchen, die Karriereleiter zu erklimmen oder ihre Verantwortlichkeiten zu erweitern. Und 76% wollen Gelegenheiten, neue Fähigkeiten zu lernen oder zu üben.
Was Gen Z von älteren Generationen unterscheidet, ist nicht der Mangel an Ambition, sondern ihre Definition von Erfolg. Während Baby Boomer und Gen X Erfolg oft an Titeln, Gehalt und Status messen, definiert Gen Z Erfolg ganzheitlicher – als Kombination aus beruflicher Erfüllung, persönlichem Wachstum, Work-Life-Balance und der Möglichkeit, einen positiven Einfluss auf die Welt zu haben.
Führung neu denken: Vom Kommandeur zum Coach
Die Herausforderung für heutige Führungskräfte besteht darin, sich von veralteten Führungsmodellen zu verabschieden und einen Ansatz zu entwickeln, der die Stärken und Bedürfnisse der Gen Z berücksichtigt. Das bedeutet konkret:
1. Vom Kommandieren zum Coachen: Statt Anweisungen zu erteilen, sollten Führungskräfte als Mentoren agieren, die ihre Teammitglieder dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihr Potenzial zu entfalten.
2. Von der Kontrolle zum Vertrauen: Mikromanagement ist out, Vertrauen ist in. Gen Z braucht Autonomie und die Freiheit, Aufgaben auf ihre Weise zu erledigen – solange die Ergebnisse stimmen.
3. Von der Hierarchie zur Zusammenarbeit: Flache Hierarchien, teambasierte Entscheidungsfindung und kollaborative Arbeitsweisen entsprechen viel eher den Erwartungen und Stärken der Gen Z als starre Befehlsketten.
Diese Veränderungen erfordern Mut und die Bereitschaft, alte Gewohnheiten zu hinterfragen. Aber die Belohnung ist es wert: engagiertere Mitarbeiter, innovativere Teams und letztlich erfolgreichere Unternehmen.
Der Generationenkonflikt als Chance
Die Spannungen zwischen traditionellen Führungskräften und Gen Z sollten nicht als Problem, sondern als Chance betrachtet werden – als Katalysator für überfällige Veränderungen in der Arbeitswelt. Anstatt Gen Z als „die ungezogenen Kinder“ zu betrachten, die hereingekommen sind und alle verärgert haben, sollten Führungskräfte ihre Leidenschaft, Energie und ihren Kampfgeist nutzen, um ihre Organisationen zu modernisieren und zukunftsfähig zu machen.
Die Wahrheit ist: Gen Z fordert nicht weniger als eine Revolution der Arbeitskultur – weg von starren Hierarchien, toxischen Arbeitsumgebungen und überholten Führungsstilen, hin zu einer menschlicheren, kollaborativeren und nachhaltigeren Arbeitswelt. Und das ist genau das, was moderne Unternehmen brauchen, um in einer zunehmend komplexen und volatilen Welt erfolgreich zu sein.
Anstatt also zu klagen, dass „die Jugend von heute“ nicht mehr so ist wie früher, sollten Führungskräfte sich fragen: Wie können wir von dieser Generation lernen? Wie können wir ihre Perspektiven und Stärken nutzen, um unser Unternehmen weiterzuentwickeln? Und wie können wir gemeinsam eine Arbeitskultur schaffen, die das Beste aus allen Generationen hervorbringt?
Der Weg nach vorn: Was bedeutet das für Dich?
Der Konflikt zwischen veralteten Führungsstilen und den Erwartungen der Gen Z ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein fundamentaler Wandel in der Arbeitswelt. Für Führungskräfte und Unternehmen ergeben sich daraus drei zentrale Handlungsimpulse:
1. Hinterfragt eure Führungskultur ehrlich und schonungslos. Sind eure Führungsstile noch zeitgemäß oder Relikte aus den 90ern? Welche unausgesprochenen Erwartungen habt ihr an eure Mitarbeiter, die möglicherweise nicht mehr zur heutigen Arbeitswelt passen?
2. Investiert in die Entwicklung transformationaler Führungskompetenzen. Fördert Führungskräfte, die als Coaches und Mentoren agieren können, die authentisch kommunizieren und die Stärken ihrer Teammitglieder erkennen und fördern.
3. Nutzt die Perspektive der Gen Z als Innovationstreiber. Ihre Sichtweisen auf Arbeit, Führung und Work-Life-Balance sind nicht falsch – sie sind anders. Und genau diese Andersartigkeit kann euer Unternehmen voranbringen, wenn ihr bereit seid, zuzuhören und zu lernen.
Die Gen Z ist nicht das Problem. Sie ist Teil der Lösung für eine Arbeitswelt, die dringend Erneuerung braucht. Die Frage ist nur: Seid ihr bereit, eure Führungsstile zu überdenken und gemeinsam mit dieser Generation die Zukunft der Arbeit zu gestalten?
news.stanford.edu – 8 ways Gen Z will change the workforce (Roberta Katz)
regent.edu – Millennial and Generation Z’s Perspectives on Leadership Effectiveness (Jake Aguas)
deloitte.com – Deloitte Global Gen Z and Millennial Survey 2025
ambition.co.uk – How Gen Z will change leadership in the workplace
niagarainstitute.com – Understanding the Gen Z Perspective as a Manager: How to Lead Gen Z Effectively
dalecarnegie.com – Misconceptions About Gen Z Employees (Ercell Charles)
cnbc.com – Gen Z workplace consultants: The biggest myths about their age group
worklife.news – Time to break the stereotypes about Gen Z attitudes to work
cloudbooking.com – 10 Myths About Gen Z in the Workplace