Ein Bluttest, der über 50 Krebsarten gleichzeitig erkennt – und das in frühen, heilbaren Stadien: GRAIL macht mit seinem Galleri®-Test möglich, wovon Mediziner seit Jahrzehnten träumen. Das kalifornische Unternehmen attackiert das größte Problem der Krebsmedizin an der Wurzel: die viel zu späte Entdeckung. Mit seiner Multi-Cancer-Early-Detection-Technologie (MCED) könnten jährlich tausende Leben gerettet werden – und das durch eine simple Blutprobe. Eine bahnbrechende Innovation, die das Potenzial hat, die gesamte Krebsvorsorge zu transformieren.
Das fundamentale Problem der Krebsfrüherkennung – und warum bisherige Lösungen nicht ausreichen
Für die meisten Krebsarten existieren bis heute keine effektiven Früherkennungsmethoden. Nur für vier Krebsarten gibt es etablierte Screening-Programme – Brust-, Darm-, Gebärmutterhals- und in einigen Ländern Lungenkrebs. Für die übrigen 70% aller Krebserkrankungen? Fehlanzeige. Das Ergebnis: Viele Krebserkrankungen werden erst entdeckt, wenn Symptome auftreten – und damit oft zu spät für eine heilende Behandlung.
Die bisherigen Screening-Methoden haben zudem ihre eigenen Limitationen. Mammographien erfordern spezialisierte Geräte und Personal. Darmspiegelungen sind invasiv und werden von vielen Patienten gemieden. Und der PSA-Test für Prostatakrebs? Führt häufig zu Überdiagnosen und unnötigen Behandlungen. Dieses Dilemma hat die Krebsmedizin jahrzehntelang vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe gestellt: Wie können wir mehr Krebsarten früher erkennen – ohne dabei die Gesundheitssysteme zu überlasten oder gesunde Menschen unnötigen Eingriffen zu unterziehen?
GRAILs revolutionärer Ansatz: Krebs-DNA im Blut aufspüren
Die Lösung dieses Problems liegt in einer bahnbrechenden Erkenntnis: Tumoren hinterlassen Spuren im Blut. Sie setzen winzige DNA-Fragmente frei, die charakteristische Veränderungen aufweisen. GRAIL hat einen Weg gefunden, diese Nadel im Heuhaufen zu finden. Der Galleri®-Test analysiert spezifische Methylierungsmuster – epigenetische Veränderungen an der DNA – die für Krebszellen charakteristisch sind. Diese Methylierungssignaturen sind so einzigartig, dass sie nicht nur das Vorhandensein von Krebs anzeigen, sondern auch seinen Ursprungsort im Körper. Das Unternehmen nutzt fortschrittliche Machine-Learning-Algorithmen, um diese komplexen Muster zu entschlüsseln und präzise Ergebnisse zu liefern. Mit einer einzigen Blutprobe kann der Test über 50 verschiedene Krebsarten erkennen – darunter viele aggressive Formen wie Bauchspeicheldrüsen- oder Eierstockkrebs, für die es bislang keine Früherkennungsmethoden gibt.
Beeindruckende Daten: Was der Galleri®-Test wirklich kann
Die Zahlen sprechen für sich: In klinischen Studien mit mehr als 15.000 Teilnehmern erreichte der Galleri®-Test eine Spezifität von 99,3%. Das bedeutet: Nur 0,7% der Gesunden erhalten ein falsch-positives Ergebnis – ein Wert, der bisherige Screening-Methoden deutlich übertrifft. Die Sensitivität variiert je nach Krebsstadium und -art, zeigt aber beeindruckende Ergebnisse: Bei fortgeschrittenen Stadien (III-IV) werden bis zu 92% der Krebsfälle erkannt.
Besonders bemerkenswert: Wenn der Test positiv ausfällt, kann er mit einer Genauigkeit von 88,7% den Ursprungsort des Tumors vorhersagen. Diese Fähigkeit, den „Tissue of Origin“ (TOO) zu bestimmen, ist entscheidend für die weitere Diagnostik und spart wertvolle Zeit bei der Behandlungsplanung.
In der PATHFINDER-Studie mit 6.662 Erwachsenen ab 50 Jahren zeigte sich ein positiver prädiktiver Wert (PPV) von 43,1% – das heißt, bei fast der Hälfte der positiv getesteten Personen wurde tatsächlich Krebs diagnostiziert. Zum Vergleich: Mammographien haben typischerweise einen PPV von 4-5%.
Der Galleri®-Test in der Praxis: So funktioniert die Technologie
Der Ablauf ist denkbar einfach: Eine normale Blutprobe wird entnommen und an GRAILs Labor geschickt. Dort wird die zellfreie DNA (cfDNA) isoliert und analysiert. Diese cfDNA stammt von Zellen im ganzen Körper, die ständig absterben und ihren Inhalt, einschließlich DNA-Fragmente, ins Blut freisetzen. Bei Krebspatienten enthält diese cfDNA auch DNA-Fragmente von Tumorzellen (ctDNA).
Der Clou: GRAIL untersucht nicht primär nach Mutationen, sondern nach Methylierungsmustern an über 100.000 genomischen Regionen. Diese epigenetischen Marker sind in Krebszellen charakteristisch verändert und erlauben präzisere Aussagen als die reine Mutationsanalyse. Fortschrittliche Machine-Learning-Algorithmen verarbeiten diese komplexen Daten und liefern zwei Hauptinformationen: Ob ein Krebssignal vorliegt und – falls ja – aus welchem Gewebe der Tumor vermutlich stammt. Das Ergebnis liegt in der Regel innerhalb von 10 Arbeitstagen vor.
Die Konkurrenz: Andere MCED-Ansätze im Vergleich
GRAIL ist nicht allein im Rennen um die Krebs-Früherkennung per Bluttest. CancerSEEK war der Vorläufer des aktuell in Entwicklung befindlichen Cancerguard™ Tests von Exact Sciences. Der Cancerguard™ Test befindet sich in der Entwicklung und hat noch keine FDA-Zulassung. Neuere Daten zeigen, dass Cancerguard eine 68% Sensitivität für die tödlichsten Krebsarten mit den niedrigsten 5-Jahres-Überlebensraten, wie Bauchspeicheldrüsen-, Lungen-, Leber-, Speiseröhren-, Magen- und Eierstockkrebs, aufweist.
In der DETECT-A-Studie mit Frauen zwischen 65 und 75 Jahren erreichte CancerSEEK allein eine Sensitivität von 27,1% – deutlich niedriger als die Werte, die GRAIL für seinen Test berichtet. Die Kombination mit bildgebenden Verfahren wie PET/CT verbesserte die Ergebnisse jedoch erheblich.
Während beide Tests ihre Stärken haben, scheint GRAILs Methylierungsansatz besonders bei der Erkennung früher Stadien und der präzisen Bestimmung des Tumorursprungs Vorteile zu bieten. Die Methylierungsmuster liefern offenbar umfassendere und spezifischere Informationen als die Kombination aus Mutationen und Proteinen.
Laufende Studien: Was die Zukunft bringt
Die Entwicklung von MCED-Tests steht nicht still – zahlreiche klinische Studien laufen weltweit, um ihre Wirksamkeit weiter zu belegen. Besonders spannend: Die NHS-Galleri-Studie in Großbritannien hat die dritte und finale Runde der Studienbesuche abgeschlossen, und finale Ergebnisse werden 2026 erwartet. Diese randomisierte kontrollierte Studie untersucht, ob der Einsatz des Galleri®-Tests tatsächlich zu einer früheren Krebsdiagnose (Stage Shift) führt und dadurch die Überlebensraten verbessert.
Auch die PATHFINDER 2-Studie liefert wichtige Erkenntnisse zur praktischen Anwendung des Tests. GRAIL hat im Juni 2025 positive Top-Line-Ergebnisse der ersten 25.578 Teilnehmer veröffentlicht, die zeigen, dass das Hinzufügen von Galleri zur Standardversorgung eine erheblich größere zusätzliche Krebserkennung als in PATHFINDER demonstrierte.
Die REFLECTION-Studie mit 2.924 Veteranen zeigte eine konsistente Krebssignal-Erkennungsrate: Bauchspeicheldrüsenkrebs mit 83,7% gesamt (61,9% Stadium I), Eierstockkrebs 83,1% gesamt (50,0% Stadium I) und Leber-/Gallengangkrebs 93,5% gesamt.
Diese Studien sind entscheidend, um den tatsächlichen klinischen Nutzen der MCED-Tests zu belegen und regulatorische Hürden zu überwinden. Die Ergebnisse werden maßgeblich darüber entscheiden, ob und wie schnell diese Tests in die Standardversorgung aufgenommen werden.
Vorteile und Herausforderungen: Eine realistische Einschätzung
Die Vorteile von MCED-Tests wie Galleri® liegen auf der Hand: Mit einer einzigen Blutprobe können über 50 Krebsarten erkannt werden – viele davon ohne bisherige Screening-Möglichkeiten. Die minimalinvasive Probenentnahme reduziert Barrieren und könnte die Teilnahmeraten an Vorsorgeuntersuchungen deutlich erhöhen. Besonders vielversprechend ist das Potenzial zur Früherkennung aggressiver Krebsarten wie Bauchspeicheldrüsen-, Eierstock- oder Speiseröhrenkrebs, die bisher meist erst in späten Stadien entdeckt werden.
Doch es gibt auch Herausforderungen: Die Sensitivität für frühe Krebsstadien (Stadium I) liegt mit etwa 39% deutlich niedriger als für fortgeschrittene Stadien. Falsch-positive Ergebnisse, obwohl selten, können zu unnötiger Angst und weiteren Untersuchungen führen. Und falsch-negative Ergebnisse könnten ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. Zudem fehlen noch klare Leitlinien, welche Folgeuntersuchungen nach einem positiven Testergebnis durchgeführt werden sollten. Nicht zuletzt stellen die Kosten – mehrere hundert Dollar pro Test – eine Hürde dar, solange die Übernahme durch Krankenversicherungen nicht gesichert ist.
Regulatorische Hürden und Kostenaspekte
Der Weg zur breiten Anwendung ist noch nicht frei von Hindernissen. Aktuell sind MCED-Tests wie Galleri® nicht als Routine-Screening-Tests von der FDA zugelassen. Sie werden als Laborausgeführte Tests (CLIA) angeboten, was ihre Verbreitung einschränkt. GRAIL hat die Breakthrough Device Designation der FDA erhalten und befindet sich derzeit in einem modularen PMA-Einreichungsprozess.
Die Kostenfrage ist ebenfalls entscheidend. Der Galleri®-Test kostet mehrere hundert Dollar und wird bisher überwiegend selbst finanziert, da die meisten Versicherungen die Kosten nicht übernehmen. Wirtschaftliche Modellierungen deuten jedoch darauf hin, dass frühzeitige Krebsdiagnosen durch MCED-Tests zu erheblichen Einsparungen im Gesundheitswesen führen könnten – im Milliardenbereich. Diese potenziellen Einsparungen könnten ein starkes Argument für die künftige Kostenübernahme durch Versicherungen sein.
Die Entwicklung gestufter Zulassungssysteme und klarer Follow-up-Guidelines wird entscheidend sein, um den klinischen Nutzen und die Kosteneffizienz dieser Tests zu maximieren. Hier sind Gesundheitsbehörden, Fachgesellschaften und die Industrie gleichermaßen gefordert.
Expertenmeinungen: Was Mediziner zu MCED-Tests sagen
Die Fachwelt blickt mit vorsichtigem Optimismus auf die MCED-Technologie. Organisationen wie die American Cancer Society betonen die Wichtigkeit einer individuellen, geteilten Entscheidungsfindung zwischen Patient und Arzt. „Diese Tests haben enormes Potenzial, aber wir müssen realistisch bleiben und ihre Grenzen verstehen“, lautet der Tenor vieler Experten.
Besonders hervorgehoben wird die Komplementarität zu bestehenden Screening-Methoden. „MCED-Tests sollten nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu bewährten Screening-Programmen gesehen werden“, betonen Fachleute. Für Krebsarten ohne etablierte Screenings könnten sie jedoch eine echte Lücke schließen.
Um Patienten bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, haben Experten Fragenkataloge entwickelt: Welche Krebsarten erkennt der Test? Was kosten sie? Welche Folgeuntersuchungen erfolgen bei positiven Ergebnissen? Diese strukturierte Herangehensweise soll helfen, informierte Entscheidungen zu treffen und unrealistische Erwartungen zu vermeiden.
Kritische Stimmen und Herausforderungen
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse gibt es auch kritische Stimmen. Einige Experten weisen darauf hin, dass eine prospektive klinische Studie mit dem Galleri-Test vorübergehend gestoppt wurde, möglicherweise aufgrund schlechter klinischer Leistung. Diese Bedenken heben die Notwendigkeit weiterer Forschung und Validierung hervor, um die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Tests sicherzustellen.
Praktische Anwendung: Für wen sind MCED-Tests sinnvoll?
Die aktuelle Empfehlung für den Galleri®-Test zielt auf Erwachsene ab 50 Jahren, insbesondere solche mit erhöhtem Krebsrisiko durch familiäre Vorbelastung oder andere Risikofaktoren. Er ist nicht für Personen gedacht, die bereits eine Krebsdiagnose haben oder sich in Behandlung befinden. Auch Schwangere oder Menschen mit bestimmten Bluterkrankungen sollten den Test nicht durchführen.
Wichtig zu verstehen: Der MCED-Test ersetzt nicht die etablierten Screening-Programme für Brust-, Darm-, Gebärmutterhals- oder Lungenkrebs. Diese sollten weiterhin wie empfohlen durchgeführt werden. Der Mehrwert liegt in der Erkennung jener Krebsarten, für die es bisher keine Screenings gibt.
Die Zukunftsvision: Wie MCED-Tests die Krebsversorgung transformieren könnten
Die langfristige Vision ist beeindruckend: Ein jährlicher Bluttest könnte das Krebsscreening so selbstverständlich machen wie die Kontrolle des Cholesterinspiegels. Durch die frühzeitige Erkennung könnten mehr Krebserkrankungen in heilbaren Stadien behandelt werden, was nicht nur Leben rettet, sondern auch die Behandlungskosten drastisch reduzieren würde.
Mit der Weiterentwicklung der Technologie ist zu erwarten, dass die Sensitivität weiter steigt und die Kosten sinken. Die Integration in bestehende Gesundheitssysteme und die Erarbeitung klarer Richtlinien für Nachsorgeuntersuchungen werden entscheidende Schritte sein. Experten prognostizieren, dass MCED-Tests innerhalb der nächsten Dekade zum Standard in der Krebsvorsorge werden könnten – vorausgesetzt, die laufenden klinischen Studien bestätigen ihren Nutzen.
Besonders spannend: Die Kombination mit anderen Technologien wie künstlicher Intelligenz zur Risikostratifizierung könnte personalisierte Screening-Strategien ermöglichen, die auf das individuelle Risikoprofil zugeschnitten sind. Dies würde die Effizienz weiter steigern und unnötige Untersuchungen reduzieren.
Der Weg zur Implementierung: Herausforderungen und Lösungsansätze
Der Weg zur breiten Implementierung von MCED-Tests ist mit Herausforderungen gepflastert. Neben der FDA-Zulassung und Kostenerstattung durch Versicherungen gibt es weitere Hürden: Die Integration in bestehende klinische Abläufe, die Schulung von Ärzten und medizinischem Personal sowie die Entwicklung standardisierter Protokolle für Folgeuntersuchungen nach positiven Testergebnissen.
Lösungsansätze zeichnen sich bereits ab: Gestaffelte Implementierungsmodelle, bei denen zunächst Hochrisikogruppen getestet werden, könnten den Einstieg erleichtern. Pilotprojekte in verschiedenen Gesundheitssystemen sammeln wertvolle Erfahrungen für die breitere Anwendung. Und die Entwicklung digitaler Tools zur Unterstützung von Ärzten bei der Interpretation der Ergebnisse und der Planung von Folgeuntersuchungen könnte die praktische Umsetzung verbessern.
Entscheidend wird auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit sein. Realistische Erwartungen zu vermitteln und gleichzeitig das Bewusstsein für den potenziellen Nutzen zu schärfen, ist eine Gratwanderung, die gemeinsame Anstrengungen von Herstellern, Ärzten und Gesundheitsbehörden erfordert.
Der Durchbruch steht bevor
GRAIL und andere Pioniere der MCED-Technologie stehen an der Schwelle zu einem Paradigmenwechsel in der Krebsfrüherkennung. Die Fähigkeit, mit einer einfachen Blutprobe über 50 Krebsarten zu erkennen – viele davon in frühen, heilbaren Stadien – könnte die Krebssterblichkeit deutlich senken und unzählige Leben retten. Die bisherigen Daten sind vielversprechend, und die laufenden Studien werden weitere Klarheit über den tatsächlichen klinischen Nutzen bringen.
Die Herausforderungen sind real, aber lösbar. Mit der richtigen Balance aus Innovation, klinischer Validierung und sorgfältiger Implementation könnte die MCED-Technologie innerhalb weniger Jahre zum festen Bestandteil der Krebsvorsorge werden. Für Patienten, Ärzte und Gesundheitssysteme eröffnet sich damit eine neue Ära der Krebsfrüherkennung – präziser, umfassender und zugänglicher als je zuvor.
grail.com – The Galleri® Test
pmc.ncbi.nlm.nih.gov – Transforming cancer screening: the potential of multi-cancer early detection (MCED) technologies (Imai M, Nakamura Y, Yoshino T)
cancer.org – Multi-cancer Early Detection (MCED) Tests
prnewswire.com – GRAIL Reports Second Quarter 2025 Financial Results
exactsciences.com – Multi-Cancer Early Detection
ncbi.nlm.nih.gov – CADTH Horizon Scan: Emerging Multi-Cancer Early Detection Technologies
grail.com – GRAIL Announces Positive Top-Line Results From The Galleri® Pathfinder 2 Registrational Study
exactsciences.com – Cancerguard™ Multi-Cancer Early Detection Test