Ein neues Kapitel im Kampf für die Rechte der Gig-Economy hat begonnen. Mit der Unterzeichnung von Assembly Bill 1340 durch Gouverneur Gavin Newsom erhalten mehr als 800.000 Uber- und Lyft-Fahrer in Kalifornien ab Januar 2026 das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und kollektiv für bessere Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Diese wegweisende Entscheidung markiert die größte Ausweitung privater Tarifverhandlungsrechte in der Geschichte des Goldenen Staates – und könnte ein Modell für andere Bundesstaaten werden.
Das neue Gesetz: Ein historischer Kompromiss mit weitreichenden Folgen
Der „Transportation Network Company Drivers Labor Relations Act“ (AB 1340) ist das Ergebnis intensiver Verhandlungen zwischen der Regierung, den Fahrdienst-Unternehmen und der Service Employees International Union (SEIU). Nach jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen haben sich alle Parteien auf einen bemerkenswerten Kompromiss geeinigt, der sowohl den Fahrern als auch den Unternehmen Vorteile bringt.
Kern des Gesetzes ist das Recht der Fahrer, sich gewerkschaftlich zu organisieren und über entscheidende Themen wie Fahrerdeaktivierungen, bezahlten Urlaub und Einkommen zu verhandeln – trotz ihres Status als unabhängige Auftragnehmer. Kalifornien ist damit nach Massachusetts erst der zweite US-Bundesstaat, der solche Rechte gewährt, während in Illinois und Minnesota ähnliche Initiativen vorangetrieben werden.
Die wirtschaftliche Gleichung: Gewerkschaftsrechte gegen Versicherungserleichterungen
Der Deal beinhaltet ein sorgfältig ausbalanciertes Geben und Nehmen: Im Gegenzug für die Gewerkschaftsrechte der Fahrer unterzeichnete Newsom auch Senate Bill 371, die die Versicherungsanforderungen für die Unternehmen erheblich reduziert. Die Unterversicherungsdeckung sinkt von 1 Million auf 60.000 Dollar pro Person – ein Zugeständnis, das laut Lyft-CEO David Risher dem Unternehmen voraussichtlich 200 Millionen Dollar einsparen und zu niedrigeren Fahrpreisen führen könnte. Uber hatte zuvor erklärt, dass fast ein Drittel jedes Fahrpreises in Kalifornien für staatlich vorgeschriebene Versicherungen aufgewendet wird. Diese Kostenentlastung könnte den Fahrdiensten helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und gleichzeitig den Fahrern bessere Bedingungen zu ermöglichen.
Stimmen aus der Praxis: Hoffnungen und Bedenken der Fahrer
Für viele Fahrer wie Jaime Lopez aus Los Angeles ist das neue Gesetz ein Hoffnungsschimmer. Der 60-Jährige, der seit 2015 für Uber und Lyft fährt, hat miterlebt, wie seine Löhne über die Jahre gesunken sind. „Vielleicht kann die Gewerkschaft etwas dagegen tun“, sagt er. Lopez arbeitet sieben Tage die Woche, erhält keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ist auf Medi-Cal für seine Gesundheitsversorgung angewiesen.
Die wirtschaftliche Realität vieler Fahrer ist ernüchternd: Eine Studie des UC Berkeley Labor Center ergab, dass Uber- und Lyft-Fahrer nach Abzug ihrer Ausgaben für Fahrzeugwartung und Berücksichtigung der Wartezeiten effektiv nur etwa 7,63 Dollar pro Stunde verdienen – deutlich unter dem kalifornischen Mindestlohn.
Nicht alle Fahrer sind jedoch uneingeschränkt optimistisch. Jason Munderloh, der seit 11 Jahren in San Francisco für die Fahrdienste tätig ist, äußerte Bedenken darüber, dass das neue Gesetz das Streikrecht nicht vollständig garantiert – ein zentrales Element gewerkschaftlicher Macht.
Wer vertritt die Fahrer? Kontroverse um Gewerkschaftszugang
Das Gesetz beschränkt die Organisationen, die zur Vertretung von Fahrern zertifiziert werden können, auf solche mit Erfahrung in der Aushandlung von Arbeitsverträgen. Dies positioniert die SEIU, die das Gesetz gesponsert hat und mehr als 750.000 Arbeiter vertritt, als wahrscheinlichen Hauptakteur.
Diese Einschränkung stößt bei kleineren Fahrerorganisationen auf Kritik. Nicole Moore von Rideshare Drivers United bezeichnet die Bestimmung als „empörend“, da selbst ihre seit 2018 aktive Organisation diese spezifische Erfahrung nicht vorweisen kann – schließlich ist die Fahrdienst-Industrie relativ neu.
Der Blick nach vorn: Was die Transformation bedeutet
Die Entwicklungen in Kalifornien könnten eine Blaupause für die Zukunft der Arbeit in der Gig-Economy liefern. Der Kompromiss zeigt, wie Industrie, Arbeitnehmervertretungen und Gesetzgeber gemeinsam Lösungen erarbeiten können, die sowohl wirtschaftliche Effizienz als auch soziale Fairness berücksichtigen.
Ramona Prieto, Ubers Leiterin der öffentlichen Politik für Kalifornien, bringt es auf den Punkt: „AB 1340 und SB 371 zusammen stellen einen Kompromiss dar, der die Kosten für Fahrer senkt und gleichzeitig stärkere Stimmen für Fahrer schafft – und zeigt, wie Industrie, Arbeit und Gesetzgeber zusammenarbeiten können, um echte Lösungen zu liefern.“
Die neue Balance der Kräfte
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2026 beginnt für die kalifornische Gig-Economy eine Phase der Neuausrichtung. Fahrer erhalten eine stärkere Verhandlungsposition, während Unternehmen durch Kostenerleichterungen ihre Wirtschaftlichkeit verbessern können. Diese ausgewogene Lösung könnte ein nachhaltiges Modell für die Zukunft der Plattformökonomie darstellen – jenseits der bisherigen Extreme von vollständiger Deregulierung einerseits und starrer traditioneller Beschäftigungsmodelle andererseits.
cnn.com – Newsom signs bill giving Uber, Lyft drivers in California the right to unionize
kqed.org – California Gives Uber, Lyft Drivers Collective Bargaining Rights
calmatters.org – California Uber and Lyft drivers closer to being able to unionize after crucial vote
techcrunch.com – Newsom signs bill giving Uber and Lyft drivers in California the right to unionize