Montag: Produktivitäts-Vorsätze. Dienstag: Drei Stunden an einer Präsentation gefeilt. Heute das Werk in die Tonne getreten, einen Anruf gemacht, mündlich auf den Punkt gebracht – verkauft. Wir alle wollen produktiv sein, nutzen KI, die uns besser und schneller machen soll und doch bleiben wir manchmal einfach Menschen, die sich genau damit selbst im Weg stehen. Exakt dieses Phänomen hat jetzt einen prominenten Kritiker gefunden: Stewart Butterfield, Milliardär und Slack-Mitgründer, rechnet in einem aktuellen Interview schonungslos mit der modernen Arbeitswelt ab. Seine These: Wir alle – vom Praktikanten bis zum CEO – verbringen unsere Zeit mit „hyperrealistischen arbeitsähnlichen Aktivitäten“, die nur wie Arbeit aussehen, aber keinen echten Wert schaffen.
Die Anatomie der „unechten Arbeit“
Was genau meint Butterfield mit diesem Begriff? In Lenny’s Podcast definiert er „hyperrealistische arbeitsähnliche Aktivitäten“ als Tätigkeiten, die oberflächlich identisch mit Arbeit erscheinen, aber keinen wirklichen Wert generieren. Klassisches Beispiel: „Menschen rufen Meetings mit ihren Kollegen ein, um die Präsentation zu besprechen, die sie in der großen Besprechung zeigen werden, um Feedback zu bekommen, ob sie einige der Folien verbessern sollten.“ Kommt euch bekannt vor?
Das Perfide daran: Diese Aktivitäten fühlen sich produktiv an. Ihr sitzt im Konferenzraum, diskutiert über projizierte Folien und habt das befriedigende Gefühl, „richtige“ Arbeit zu leisten. Doch in Wahrheit dreht ihr euch im Kreis – und verschwendet wertvolle Ressourcen für Arbeit, die keinen echten Mehrwert schafft.
Butterfield betont, dass dieses Problem auf allen Hierarchieebenen existiert: „Ich werde es tun, unsere Vorstandsmitglieder werden es tun, jeder Geschäftsführer wird es tun.“ Niemand ist immun gegen die Verlockung der scheinbaren Produktivität.
Von Coffee Badging bis Mouse Jiggling: Die neuen Täuschungsmanöver
Die Pandemie hat zwei neue Phänomene hervorgebracht, die Butterfields These stützen: „Coffee Badging“ und „Mouse Jiggling“. Beim Coffee Badging tauchen Mitarbeiter kurz im Büro auf, checken ein, holen sich einen Kaffee – und verschwinden wieder. Sie erfüllen die Anwesenheitspflicht, ohne tatsächlich vor Ort zu arbeiten. Mouse Jiggling geht noch einen Schritt weiter: Hier kommen Programme oder Geräte zum Einsatz, die automatisch die Computermaus bewegen, um Aktivität vorzutäuschen, während der Mitarbeiter in Wahrheit abwesend ist. Wells Fargo entließ deswegen erst kürzlich mehr als ein Dutzend Mitarbeiter ihrer Vermögensverwaltungsabteilung.
Warum wir in die Fake-Work-Falle tappen
Butterfield, der nach dem 28-Milliarden-Dollar-Verkauf von Slack an Salesforce heute als Investor und Berater tätig ist, hat eine interessante Theorie zur Entstehung des Problems. In den frühen Tagen eines Startups sei jede Aktivität tatsächlich wertvoll: ein Bankkonto eröffnen, Benutzertabellen erstellen, Passwörter verschlüsseln – all diese grundlegenden Aufgaben schaffen „fast unendlichen generativen Wert“.
Mit zunehmender Unternehmensgröße verändert sich jedoch die Wertschöpfung. Was einst essentiell war, wird zur Routine. Und hier beginnt die Gefahr: Statt sich auf neue wertschöpfende Aktivitäten zu konzentrieren, verfallen Teams in Pseudo-Produktivität – Meetings über Meetings, endlose Präsentationsschleifen, überbordende Dokumentationen.
Hinzu kommt der Druck der Präsenzkultur. Viele Führungskräfte misstrauen dem Homeoffice und setzen auf Anwesenheit statt Ergebnisse. Brian Elliott, Führungsberater, nennt dies „eine schwächere Form des Managements“: Wer Arbeiter nach ihrer Anwesenheit oder Bildschirmzeit bewertet, bekommt genau das Verhalten, das er misst – nicht unbedingt echte Produktivität.
Zurück zur echten Wertschöpfung
Der Slack-Mitgründer plädiert für einen radikalen Perspektivwechsel. Statt uns in endlosen Meetings und PowerPoint-Schlachten zu verlieren, sollten wir uns fragen: Welche Arbeit schafft tatsächlich Wert? Butterfield selbst lebt diese Philosophie vor. Nach seinem Ausstieg bei Slack konzentriert er sich auf ausgewählte Projekte mit echtem Impact – von Angel-Investments in KI-Startups bis zu philanthropischen Initiativen wie seiner 25-Millionen-Dollar-Spende an UNICEF für COVID-19-Impfstoffe.
Für Teams bedeutet dies: Hinterfragt kritisch, ob eure täglichen Aktivitäten wirklichen Wert schaffen oder nur „hyperrealistische arbeitsähnliche Aktivitäten“ sind. Streicht unnötige Meetings, reduziert Präsentationspflichten und konzentriert euch auf messbare Ergebnisse statt auf Anwesenheit oder Aktivität.
Produktivitäts-Realitätscheck: Was bedeutet das für euch?
Butterfields Abrechnung ist mehr als eine unterhaltsame Kritik – sie ist ein Weckruf für jeden, der im modernen Arbeitsumfeld navigieren muss. Wenn ihr eure eigene und die Produktivität eures Teams steigern wollt, solltet ihr drei Dinge beachten:
1. Identifiziert „unechte Arbeit“ in eurem Alltag – von überflüssigen Meetings bis zu endlosen Dokumentationen – und eliminiert sie konsequent.
2. Etabliert eine ergebnisorientierte Kultur, die Outputs statt Inputs belohnt. Nicht wer am längsten am Schreibtisch sitzt, sollte Anerkennung bekommen, sondern wer die besten Resultate liefert.
3. Schafft Raum für echte Wertschöpfung, indem ihr bewusst Zeit für fokussierte, kreative Arbeit ohne Unterbrechungen reserviert.
fortune.com – Slack cofounder says workers and CEOs can get stuck doing ‚fake‘ work like pre-meetings and slide shows (Emma Burleigh)
lennysnewsletter.com – Slack founder: Mental models for building products people love ft. Stewart Butterfield (Lenny Rachitsky)
axios.com – Why employers get „mouse jigglers“ that fake working
Photo by Phillip Faraone/Getty Images for WIRED