Die brutale Wahrheit liegt auf dem Tisch: Nur etwa 11 Prozent aller Startups schaffen den Sprung von der Seed-Finanzierung zur Series A. Der Rest? Verschwindet in der Statistik gescheiterter Unternehmen. In Zeiten, in denen Venture Capital knapper fließt und die Due-Diligence-Prozesse sich auf 3-6 Monate verlängern, wird eure Runway – die finanzielle Überlebenszeit – zur entscheidenden Ressource. Doch statt in Panik zu verfallen, könnt ihr jetzt strategisch handeln und euer Startup für den langen Weg zur Series A fit machen.
Warum die meisten Startups vor der Series A scheitern
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Von zehn Startups, die eine Seed-Finanzierung erhalten, überleben nur ein bis zwei den Weg zur Series A. Besonders alarmierend: 2023 sank die Anzahl der Series A Deals um ganze 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Flaschenhals wird enger.
Hinter diesem Phänomen stecken mehrere Faktoren. Einerseits haben sich die Erwartungen der Investoren drastisch verändert. Wo früher Wachstumsversprechen ausreichten, verlangen VCs heute harte Zahlen: 1-2 Millionen Euro Annual Recurring Revenue (ARR), monatliche Wachstumsraten von 10-20 Prozent und eine LTV/CAC-Ratio von mindestens 3:1. Die Messlatte hängt höher als je zuvor.
Gleichzeitig kämpfen viele Gründerteams mit einem fundamentalen Missverständnis. Sie verwechseln eine gefüllte Kasse nach der Seed-Runde mit finanzieller Sicherheit. Doch wie Reid Hoffman, Partner bei Greylock Partners, treffend formuliert: „Ein Startup zu gründen ist wie von einer Klippe zu springen und auf dem Weg nach unten ein Flugzeug zusammenzubauen. Eure Runway ist eure Flughöhe.“ Je länger ihr in der Luft bleibt, desto größer eure Chancen, das Flugzeug fertigzustellen.
Die Runway-Formel – so berechnet ihr eure finanzielle Überlebenszeit
Eure Runway – die Zeit, die ihr mit den vorhandenen finanziellen Mitteln überbrücken könnt – folgt einer einfachen Formel: Verfügbare Liquidität geteilt durch die monatliche Burn Rate. Diese Berechnung liefert euch die Anzahl der Monate, die ihr ohne zusätzliche Finanzierung überleben könnt. Idealerweise sollte diese Zeitspanne für frühe Startups zwischen 12 und 18 Monaten liegen – genug Zeit, um signifikante Meilensteine zu erreichen und die nächste Finanzierungsrunde vorzubereiten. In der aktuellen Marktlage, mit längeren Due-Diligence-Prozessen, empfehlen Experten sogar, eine Runway von 18-24 Monaten anzustreben. Die Burn Rate – eure monatlichen Ausgaben – variiert stark nach Geschäftsmodell und Entwicklungsphase. Für SaaS-Startups gilt als Faustregel: Eine gesunde Burn Rate liegt bei etwa 15-20 Prozent des ARR. Für B2B-Startups fällt dieser Wert typischerweise niedriger aus als bei B2C-Unternehmen, die oft höhere Marketingausgaben stemmen müssen.
Strategie 1: Kostenoptimierung ohne Wachstumsbremse
Die naheliegendste Strategie zur Runway-Verlängerung ist die Kostenoptimierung. Doch Vorsicht: Blindes Sparen kann euer Wachstum abwürgen und damit das eigentliche Ziel – die Series A – in weite Ferne rücken. Der Schlüssel liegt in intelligenten Einsparungen.
Beginnt mit der größten Ausgabenposition: den Personalkosten. Diese machen in den meisten Startups 60-80 Prozent der Gesamtkosten aus. Überprüft kritisch, ob jede Position zum aktuellen Zeitpunkt notwendig ist. Vielleicht könnt ihr bestimmte Funktionen durch Freelancer abdecken oder Einstellungen verschieben, bis bestimmte Meilensteine erreicht sind.
Remote Work bietet ein enormes Einsparpotenzial. Durch den Verzicht auf teure Büroflächen können Startups ihre Fixkosten um 30-50 Prozent senken. Zoom beispielsweise reduzierte 2011-2012 seine Burn Rate um beeindruckende 40 Prozent durch einen konsequenten Remote-First-Ansatz.
Unterschätzt auch nicht die Macht der Verhandlung. Mit Lieferanten und Dienstleistern lassen sich oft Einsparungen von 10-20 Prozent erzielen, indem ihr längere Vertragslaufzeiten oder Vorauszahlungen anbietet. Besonders Tech-Startups können von speziellen Gründerprogrammen profitieren, die Cloud-Services und Software zu stark reduzierten Preisen oder sogar kostenlos anbieten.
Strategie 2: Revenue-Fokus statt reiner Wachstumszahlen
In der Frühphase konzentrieren sich viele Startups ausschließlich auf Nutzerwachstum und Marktanteil. Ein fataler Fehler in Zeiten knapper Kassen. Die zweite zentrale Strategie zur Runway-Verlängerung besteht darin, den Fokus auf Revenue-Generierung zu legen.
Beginnt mit euren bestehenden Kunden. Upselling und Cross-selling sind 5-25 Mal günstiger als die Neukundenakquise. Analysiert eure Nutzerbasis und identifiziert Möglichkeiten für Premium-Features oder ergänzende Produkte. Slack schaffte es so von 0 auf 1 Million Dollar ARR in nur sechs Monaten, indem sie bestehende Nutzer in zahlende Kunden konvertierten.
Pricing-Optimierung als unterschätzter Hebel
Eine der wirkungsvollsten, aber oft vernachlässigten Strategien ist die Pricing-Optimierung. Studien zeigen, dass eine Preiserhöhung von nur einem Prozent zu einer Gewinnsteigerung von 8-11 Prozent führen kann – ein Hebel, der deutlich stärker wirkt als Kostensenkungen.
Experimentiert mit verschiedenen Preismodellen und Paketen. Subscription-Modelle sorgen für vorhersehbare Einnahmen und verbessern euren Cash-Flow. Erwägt auch Prepaid-Angebote mit Rabatten für jährliche statt monatlicher Zahlungen – dies bringt sofort Liquidität in die Kasse.
Value-Based Pricing kann eure Margen deutlich verbessern. Statt euch an Wettbewerbern zu orientieren, kalkuliert auf Basis des tatsächlichen Werts, den eure Lösung für Kunden schafft. Dokumentiert Erfolgsgeschichten und ROI-Berechnungen, um höhere Preise zu rechtfertigen.
Strategie 3: Alternative Finanzierungsquellen erschließen
Equity-Finanzierung durch VCs ist nicht der einzige Weg. Gerade in Zeiten zwischen Finanzierungsrunden können alternative Quellen eure Runway entscheidend verlängern.
Revenue-Based Financing gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hierbei erhaltet ihr Kapital gegen einen Anteil eurer zukünftigen Umsätze – typischerweise 2-12 Prozent – bis ein vereinbarter Gesamtbetrag zurückgezahlt ist. Der Vorteil: Keine Verwässerung eurer Anteile und die Rückzahlungen skalieren mit eurem Geschäftserfolg.
Venture Debt stellt eine weitere Option dar. Diese Form der Fremdfinanzierung wird oft nach einer Equity-Runde angeboten und kann 10-30 Prozent eurer letzten Finanzierung betragen. Die Zinsen liegen zwar höher als bei traditionellen Krediten, aber deutlich unter den Opportunitätskosten einer Equity-Verwässerung.
Besonders in Deutschland und Europa solltet ihr die umfangreiche Förderlandschaft nutzen. Programme wie das EXIST-Gründerstipendium (bis zu 3.000 Euro monatlich), der INVEST-Zuschuss (25 Prozent Steuererstattung für Business Angels) oder der ERP-Gründerkredit (bis zu 25 Millionen Euro) können eure Kasse ohne Verwässerung füllen. Auf EU-Ebene bietet Horizon Europe Förderungen von bis zu 2,5 Millionen Euro für innovative Startups.
Operative Effizienz durch intelligente Prozessautomatisierung
Zeit ist Geld – diese alte Weisheit gewinnt im Startup-Kontext besondere Bedeutung. Durch Prozessautomatisierung könnt ihr nicht nur Kosten senken, sondern auch wertvolle Ressourcen für wachstumsfördernde Aktivitäten freisetzen.
Identifiziert zunächst repetitive Tasks in eurem Tagesgeschäft. Von der Kundenakquise über Onboarding bis zum Support – überall lauern Automatisierungspotenziale. Tools wie Zapier, Make oder n8n ermöglichen die Verknüpfung eurer bestehenden Software-Lösungen ohne Programmierkenntnisse.
Selbst kleine Effizienzgewinne summieren sich. Wenn ihr beispielsweise durch Automatisierung täglich eine Stunde pro Teammitglied einspart, entspricht das bei einem fünfköpfigen Team und einem durchschnittlichen Stundensatz von 50 Euro einer monatlichen Einsparung von 5.000 Euro – oder einer Runway-Verlängerung um mehrere Wochen.
Erfolgsbeispiele: So haben es andere geschafft
Zoom steht exemplarisch für kluges Runway-Management. In der kritischen Phase 2011-2012 setzte Gründer Eric Yuan auf einen Remote-First-Ansatz, reduzierte die Burn Rate um 40 Prozent und fokussierte sich kompromisslos auf Product-Market-Fit statt schnelles Wachstum. Diese Strategie verlängerte die Runway von 8 auf 18 Monate – genug Zeit, um das Produkt zu perfektionieren und eine solide Kundenbasis aufzubauen.
Noch beeindruckender ist die Geschichte von Slack. Nach einem Pivot von der Gaming-Plattform „Glitch“ zur Business-Communication-Lösung stand das Team vor der Herausforderung, mit begrenzten Mitteln ein völlig neues Produkt zu entwickeln. Durch konsequente Vereinfachung des Technologie-Stacks und einen starken Fokus auf User Experience gelang es dem Team, innerhalb von nur sechs Monaten von null auf eine Million Dollar ARR zu wachsen.
Auch Airbnb musste während der Finanzkrise 2008 kreative Wege finden, um zu überleben. Die Gründer verkauften selbstdesignte Frühstückszerealien („Obama O’s“ und „Cap’n McCains“) für 40 Dollar pro Box und generierten damit 30.000 Dollar – genug, um die kritische Phase zu überbrücken und später zu einem der wertvollsten Startups der Welt heranzuwachsen.
Die richtigen KPIs für optimales Runway-Management
Um eure Runway effektiv zu steuern, braucht ihr die richtigen Kennzahlen im Blick. Über die grundlegende Formel (Liquidität/Burn Rate) hinaus solltet ihr ein differenziertes Set von KPIs tracken.
Der Cash Zero Date – der Tag, an dem euer Konto ohne zusätzliche Einnahmen auf null fallen würde – sollte für jedes Führungsmitglied täglich präsent sein. Ergänzt wird diese Kennzahl durch den Runway Extension Rate, der angibt, wie viele zusätzliche Tage Runway ihr pro Monat durch Kostensenkungen oder Umsatzsteigerungen gewinnt.
Für SaaS-Startups sind zudem Customer Acquisition Cost (CAC), Customer Lifetime Value (CLV) und die Payback Period entscheidend. Diese Metriken zeigen, wie effizient ihr wachst und wann sich Kundeninvestitionen amortisieren. Eine Payback Period von unter 12 Monaten gilt als Goldstandard für SaaS-Unternehmen.
Implementiert ein wöchentliches Burn Rate Meeting, in dem ihr aktuelle Zahlen prüft und Maßnahmen beschließt. Nutzt Tools wie Runway, Foresight oder Carta für automatisierte Forecasts und Szenario-Analysen.
Scenario Planning: Vorbereitet auf alle Eventualitäten
In volatilen Zeiten reicht ein einzelner Finanzplan nicht aus. Scenario Planning – die Entwicklung verschiedener Zukunftsszenarien – hilft euch, auf unterschiedliche Marktentwicklungen vorbereitet zu sein.
Erstellt mindestens drei Szenarien: Best Case (schnelleres Wachstum als erwartet), Base Case (realistische Prognose) und Worst Case (verzögerte Meilensteine, ausbleibende Finanzierung). Definiert für jedes Szenario klare Trigger-Punkte, die bestimmte Maßnahmen auslösen.
Der Worst-Case-Plan sollte konkrete Schritte zur drastischen Kostensenkung enthalten – von Gehaltskürzungen über Teamverkleinerung bis hin zu Produktfokussierung. So hart diese Entscheidungen sein mögen, die frühzeitige Planung ermöglicht im Ernstfall schnelles und entschlossenes Handeln.
Besonders wertvoll: Definiert einen „Pre-Mortem“ für jedes Szenario, indem ihr gedanklich in die Zukunft springt und analysiert, was zum Scheitern geführt hat. Diese Übung deckt blinde Flecken auf und schärft euren Blick für kritische Risiken.
Die psychologische Komponente des Runway-Managements
Runway-Verlängerung ist nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine psychologische Herausforderung. Der ständige Druck, mit begrenzten Mitteln Meilensteine zu erreichen, kann zu Burnout und Fehlentscheidungen führen.
Transparente Kommunikation im Team über die finanzielle Situation ist entscheidend. Statt Panik zu verbreiten, schafft ein gemeinsames Verständnis für die Herausforderungen und bezieht das Team in Lösungen ein. Oft kommen die besten Ideen zur Kostenoptimierung von Mitarbeitern, die täglich mit den Prozessen arbeiten.
Paul Graham, Gründer von Y Combinator, bringt es auf den Punkt: „Startups sterben nicht, wenn ihnen das Geld ausgeht. Sie sterben, wenn ihnen die Optionen ausgehen.“ Diese Perspektive verdeutlicht: Runway-Management bedeutet, sich kontinuierlich neue Optionen zu erschließen – sei es durch Produktinnovationen, Geschäftsmodellanpassungen oder kreative Finanzierungswege.
Die Series-A-Readiness – mehr als nur Zahlen
Während ihr eure Runway verlängert, verliert nie das eigentliche Ziel aus den Augen: die Series A. Dafür müsst ihr über finanzielle Kennzahlen hinaus eine überzeugende Story entwickeln.
Investoren erwarten heute mehr denn je einen klaren Weg zur Profitabilität. Dokumentiert akribisch eure Unit Economics und zeigt, wie sich diese mit zunehmender Skalierung verbessern. Euer Pitch sollte demonstrieren, dass ihr nicht nur wachsen könnt, sondern auch versteht, wie ihr langfristig ein profitables Geschäft aufbaut.
Market Timing wird oft unterschätzt. Analysiert, wie sich euer Markt entwickelt und welche externen Faktoren eure Wachstumschancen beeinflussen. Timing-Argumente können besonders überzeugend sein, wenn ihr nachweisen könnt, dass gerade jetzt ein einmaliges Zeitfenster für euer Produkt existiert.
Nicht zuletzt zählt das Team. VCs investieren in Menschen, nicht nur in Geschäftsmodelle. Zeigt, wie ihr durch die Herausforderungen der Seed-Phase gewachsen seid und als Team an Stärke gewonnen habt. Jede überwundene Krise ist ein Beweis für eure Anpassungsfähigkeit und Resilienz.
Der strategische Überlebensvorteil: Warum Runway-Management über Erfolg und Misserfolg entscheidet
Die 11-Prozent-Hürde zur Series A ist keine unüberwindbare Barriere, sondern ein Selektionsprozess, den ihr mit strategischem Runway-Management zu eurem Vorteil nutzen könnt. Während andere Startups ihre Mittel verbrennen, verschafft ihr euch durch kluge Kostenoptimierung, Revenue-Fokussierung und alternative Finanzierungsquellen den entscheidenden Überlebensvorteil.
Marc Andreessen, Mitgründer von Andreessen Horowitz, fasst es treffend zusammen: „Der Killer Nummer eins für Startups ist nicht, dass sie keine Produkt-Markt-Passung finden, sondern dass ihnen die Runway ausgeht, bevor sie den nächsten Meilenstein erreichen.“ Mit den vorgestellten Strategien seid ihr bestens gerüstet, um dieses Schicksal zu vermeiden.
Denkt daran: In Zeiten, in denen Kapital knapper wird, gewinnen nicht unbedingt die schnellsten oder innovativsten Startups, sondern diejenigen mit dem längsten Atem. Eure Fähigkeit, die Runway strategisch zu verlängern, könnte der entscheidende Faktor sein, der euch in die Elite der 11 Prozent katapultiert, die es zur Series A schaffen.
crunchbase.com – Global VC Report Q3 2023
pitchbook.com – Q3 2023 PitchBook-NVCA Venture Monitor
forentrepreneurs.com – SaaS Metrics 2.0 (David Skok)
mckinsey.com – Grow fast or die slow
cbinsights.com – State of Venture 2024
ycombinator.com – A Guide to Seed Fundraising
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