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Versteckte Vielfalt: Wie KI-Algorithmen bei Netflix und Amazon Prime den Zugang zu Inhalten steuern

Streaming-Giganten wie Netflix und Amazon Prime nutzen ausgeklügelte Algorithmen nicht nur zur Personalisierung – sie bestimmen aktiv, welche Filme und Serien für bestimmte Nutzergruppen komplett unsichtbar bleiben.

Während ihr eure Lieblingsserie auf Netflix genießt, läuft im Hintergrund eine KI, die entscheidet, welche Inhalte ihr überhaupt zu sehen bekommt. Streaming-Giganten wie Netflix und Amazon Prime nutzen ausgeklügelte Algorithmen nicht nur zur Personalisierung – sie bestimmen aktiv, welche Filme und Serien für bestimmte Nutzergruppen komplett unsichtbar bleiben. Diese Erkenntnis teilt Jyoti Deshpande, Präsidentin für Medien- und Content-Business bei Reliance Industries, und wirft damit ein Schlaglicht auf die verborgene Macht der Empfehlungssysteme.

Die versteckte Macht der Streaming-Algorithmen

Laut einer Studie von UserTesting verbringen Abonnenten durchschnittlich 110 Stunden pro Jahr allein mit dem Scrollen durch Streaming-Angebote. Dabei folgen 80 Prozent der Netflix-Nutzer den Empfehlungen des Algorithmus. Was wie ein praktischer Service erscheint, hat jedoch eine Kehrseite.

Während die KI-gesteuerten Systeme immer besser darin werden, eure Vorlieben zu erkennen, schaffen sie gleichzeitig digitale Filterblasen. „Das größere Problem liegt in der Verteilung und der Verwendung von Algorithmen, wenn Inhalte angezeigt werden,“ erklärt Deshpande beim Fortune Global Forum 2025 in Riad. Der Algorithmus begrenzt systematisch, womit ihr konfrontiert werdet – zum Nachteil von Studios, die Filme außerhalb des Mainstream-Spektrums produzieren.

Der Fall „Laapataa Ladies“ – wenn Algorithmen Kunst verstecken

Deshpandes Kritik ist nicht abstrakt, sondern basiert auf konkreten Erfahrungen. Am Beispiel des Films „Laapataa Ladies“, Indiens Beitrag für die Oscars 2025, zeigt sie die Problematik auf. Obwohl der von Bollywood-Star Aamir Khan produzierte Film nach seiner Netflix-Premiere im April 2024 erheblich an Popularität gewann, blieb er vielen potenziellen Zuschauern verborgen. Besonders in Märkten wie Großbritannien entschied der Algorithmus eigenständig, dass bestimmte Nutzergruppen kein Interesse an diesem kulturell spezifischen Inhalt haben würden – und machte ihn für sie praktisch unsichtbar.

Globale Filmlandschaft im Wandel

Die Auswirkungen dieser algorithmischen Steuerung sind weitreichend. Vor zwei Jahrzehnten dominierten US-Filme mit einem Anteil von 92% die globalen Kinokassen. Heute liegt dieser Wert bei 66% – ein Zeichen für die wachsende Bedeutung internationaler Produktionen.

Paradoxerweise kommen mittlerweile etwa 70% der globalen Einnahmen Hollywoods von internationalen Märkten. Doch für Filmemacher aus anderen Ländern gestaltet sich der Zugang zum globalen Publikum schwieriger – trotz Streaming-Plattformen, die theoretisch grenzenlose Verbreitung ermöglichen könnten.

Die großen Plattformen verfolgen zwar offiziell eine „local for local“-Strategie, die kulturell spezifische Inhalte fördern soll. Doch die Realität sieht anders aus: Die Algorithmen drängen die Masse der Nutzer in Richtung Mainstream und lassen ungewöhnliche, kleinere und vor allem nicht-amerikanische Produktionen durch das Raster fallen.

Technische Filterung und Geoblocking

Teil des Problems ist die technische Umsetzung der Content-Filterung. Netflix‘ Machine-Learning-Algorithmus katalogisiert eure Sehgewohnheiten minutiös, um euren Geschmack zu verstehen. Dabei entstehen detaillierte Profile, die festlegen, welche Inhalte ihr zu sehen bekommt – und welche nicht.

Zusätzlich nutzen Streamingdienste Geoblocking, um den Zugriff auf internationale Inhalte je nach Region zu beschränken. Diese Kombination aus algorithmischer Filterung und geografischer Beschränkung führt zu einer fragmentierten Medienlandschaft, in der kulturelle Vielfalt oft auf der Strecke bleibt.

Der Weg zu mehr Entdeckbarkeit

Deshpandes Appell an die großen Plattformen ist klar: „If these large platforms, Amazon Prime, Apple, Netflix—the big boys—if they don’t openly promote this content and make it discoverable to everyone, how do we get there?“ Die Forderung nach mehr Transparenz und aktiver Förderung internationaler Inhalte steht im Raum.

Für Content-Produzenten bedeutet dies, Strategien zu entwickeln, die über die reine Platzierung auf Streaming-Plattformen hinausgehen. Cross-Promotion, gezielte Marketing-Kampagnen und alternative Vertriebswege werden zunehmend wichtig, um die algorithmischen Barrieren zu überwinden.

Kulturelle Vielfalt statt digitaler Einheitsbrei

Die Herausforderung für die Streaming-Zukunft liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in ihrer Anwendung. Algorithmen könnten genauso gut genutzt werden, um kulturelle Vielfalt zu fördern, statt sie zu beschränken. Mit den richtigen Anreizen und transparenteren Empfehlungssystemen könnten Plattformen zu echten globalen Kulturvermittlern werden.

Für euch als Nutzer bedeutet dies: Seid euch bewusst, dass ihr nur einen algorithmisch gefilterten Ausschnitt des verfügbaren Angebots seht. Experimentiert bewusst mit anderen Genres und internationalen Produktionen – und helft so, die digitalen Filterblasen zu durchbrechen.

About the author

Bild von Nico Wirtz

Nico Wirtz

Der gelernte TV-Journalist hat Nachrichten und Dokumentationen gemacht, ebenso wie Talk und Entertainment für ProSieben, Kabeleins und TELE5 - am Ende ist es immer die gute Geschichte, die zählt. Emotionales Storytelling zieht sich durch sein ganzes Leben - ob als Journalist, PR- und Kommunikations-Profi, der für große Marken, wie BOGNER, L'Oréal oder Panthene an Kampagnen mitgewirkt hat, oder hier bei MARES als Chefredakteur.
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