Von Wisconsin aus verändert eine Frau das globale Gesundheitswesen grundlegend – und ihr Name ist nicht auf jedem Radar. Judy Faulkner hat mit Epic Systems einen Giganten geschaffen, der die medizinischen Daten von über 325 Millionen Patienten weltweit verwaltet. Was als Electronic Health Record (EHR) begann, entwickelt sich unter ihrer Führung zur umfassenden Infrastruktur des modernen Gesundheitswesens. Für deutsche Healthcare-Technologieanbieter bedeutet das: Lernt von Epic oder riskiert, den Anschluss zu verlieren. Denn Faulkners Vision transformiert nicht nur Daten, sondern ganze Versorgungssysteme.
Die Milliardärin, die niemand kennt: Judy Faulkners ungewöhnlicher Weg an die Spitze
Jenseits des Silicon Valley-Glamours hat Judy Faulkner ein Tech-Imperium aufgebaut, das die Gesundheitsbranche dominiert. Die heute 82-jährige Mathematikerin gründete 1979 in einem Keller in Wisconsin ein Unternehmen namens Human Services Computing, das später zu Epic Systems wurde. Mit einer Handvoll Mitarbeiter programmierte sie die ersten Versionen einer Software, die heute in über 3.600 US-Krankenhäusern eingesetzt wird.
Anders als die Tech-Titanen unserer Zeit lehnt Faulkner Risikokapital konsequent ab und hält Epic bis heute in Privatbesitz. „Why be owned by people whose interest is primarily return on equity?“ – dieses Zitat verdeutlicht ihre Philosophie der Unabhängigkeit und langfristigen Vision. Mit einem geschätzten Vermögen von 7,8 Milliarden Dollar (Stand Juli 2024) zählt sie zu den reichsten Selfmade-Milliardärinnen der Welt, bleibt aber bewusst unter dem Radar der Öffentlichkeit.
Faulkners Führungsstil prägt Epic bis heute: keine Übernahmen, keine Börsengänge, keine externen Investoren. Stattdessen setzt sie auf organisches Wachstum und konsequente In-House-Entwicklung. Diese Strategie hat Epic zu einem der größten privaten Softwareunternehmen im Gesundheitswesen gemacht – mit einem Jahresumsatz von 5,7 Milliarden Dollar (aktuelle Schätzung 2024) und mehr als 13.000 Mitarbeitern. Sumit Rana wurde im August 2024 zum Präsidenten ernannt und gilt als wahrscheinlicher Nachfolger von Judy Faulkner.
Von der digitalen Patientenakte zum Nervensystem des Gesundheitswesens
Was Epic Systems von anderen Anbietern unterscheidet, ist der konsequente Wandel vom reinen EHR-Anbieter zur umfassenden Healthcare-Infrastruktur. Faulkner erkannte früh, dass isolierte Patientenakten nur begrenzten Nutzen haben. Durch die systematische Entwicklung integrierter Module wie EpicCare Ambulatory für die ambulante Versorgung, ASAP für die Notaufnahme und OpTime für den OP-Bereich schuf sie ein Ökosystem, das nahezu alle Aspekte der Gesundheitsversorgung abdeckt. Tools wie MyChart für Patientenzugang, Healthy Planet für Populationsgesundheit und Signal für klinische Entscheidungsunterstützung erweitern dieses System zu einer vollständigen digitalen Infrastruktur.
Die Datenrevolution: Wie Epic klinische Forschung und Versorgung neu definiert
In einer Branche, die traditionell von Datensilos geprägt ist, hat Epic einen bemerkenswerten Durchbruch erzielt. Mit Plattformen wie Clarity, Chronicles und Cosmos ermöglicht das Unternehmen die Nutzung von Echtzeitdaten über institutionelle Grenzen hinweg.
Der SlicerDicer – ein intuitives Analytics-Tool – erlaubt es Klinikern ohne Programmierkenntnisse, komplexe Datenanalysen durchzuführen und damit die Patientenversorgung zu verbessern. Diese Demokratisierung von Daten hat weitreichende Folgen für die klinische Forschung und Versorgungssteuerung.
Epic Research, das Forschungsportal des Unternehmens, nutzt die aggregierten Daten von Millionen Patienten, um neue medizinische Erkenntnisse zu gewinnen. Während der COVID-19-Pandemie konnten Forscher dank dieser Plattform schnell Behandlungsprotokolle optimieren und die Wirksamkeit verschiedener Therapien evaluieren.
Das Care Everywhere-Netzwerk von Epic ermöglicht zudem den sicheren Austausch von Patientendaten zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen – ein entscheidender Schritt in Richtung einer vernetzten Gesundheitsversorgung.
KI als Game-Changer: Wie Epic künstliche Intelligenz in den klinischen Alltag integriert
Epic Systems treibt aktiv die Integration von künstlicher Intelligenz in die klinische Praxis voran. AI Charting, eine der neuesten Innovationen, unterstützt Ärzte bei der Dokumentation und reduziert administrative Belastungen. Das System analysiert Patientengespräche in Echtzeit und erstellt automatisch strukturierte medizinische Aufzeichnungen.
Prädiktive Analysetools identifizieren Hochrisikopatienten und geben Klinikern Handlungsempfehlungen, bevor kritische Situationen eintreten. Diese Form der vorausschauenden Medizin verbessert nicht nur die Patientensicherheit, sondern optimiert auch die Ressourcenallokation in Gesundheitseinrichtungen.
Der deutsche Gesundheitsmarkt: Herausforderungen und Chancen für Epic und lokale Anbieter
Deutschland stellt mit seinem stark regulierten Gesundheitssystem und strengen Datenschutzbestimmungen eine besondere Herausforderung für internationale Anbieter wie Epic dar. Die DSGVO und das Bundesdatenschutzgesetz setzen hohe Hürden für die Implementierung von Healthcare-IT-Plattformen.
Dennoch wächst das Interesse deutscher Gesundheitseinrichtungen an integrierten Lösungen. Erste Pilotprojekte und Implementierungen in deutschen Kliniken zeigen, dass Epic’s Plattform auch in diesem regulatorischen Umfeld funktionieren kann – wenn sie entsprechend angepasst wird.
Für deutsche Healthcare-Technology-Anbieter wie CompuGroup Medical (CGM) und Dedalus bedeutet Epic’s Vorstoß sowohl Herausforderung als auch Inspiration. Sie können von Epic’s modularem Ansatz und der nahtlosen Integration lernen, müssen aber gleichzeitig ihre Kenntnis des lokalen Marktes als Wettbewerbsvorteil nutzen.
Epic ist aktuell in Rechtsstreitigkeiten mit Particle Health (seit September 2024) und CureIS Healthcare (Mai 2025) wegen Monopolvorwürfen verwickelt.
Die Philosophie hinter dem Erfolg: Warum Epic anders ist als andere Tech-Unternehmen
Während viele Tech-Giganten auf schnelles Wachstum und kurzfristige Gewinne setzen, verfolgt Judy Faulkner einen anderen Ansatz. Ihre Weigerung, an die Börse zu gehen oder externe Investoren ins Boot zu holen, ermöglicht es Epic, langfristige Entwicklungsziele zu verfolgen, ohne dem Druck vierteljährlicher Gewinnerwartungen zu unterliegen.
„Do not acquire – be homegrown“ – dieser Grundsatz spiegelt sich in der Produktentwicklung wider. Statt Technologien zuzukaufen, entwickelt Epic alle Komponenten intern. Das führt zu einer höheren Konsistenz und besseren Integration der verschiedenen Module.
Faulkners Fokus auf Kundenzufriedenheit ist legendär. Sie nimmt persönlich an Kundenmeetings teil und stellt sicher, dass Epic-Implementierungen den spezifischen Bedürfnissen der jeweiligen Gesundheitseinrichtung entsprechen. Diese enge Zusammenarbeit mit Anwendern hat zu einer loyalen Kundenbasis geführt, die Epic’s Wachstum weiter vorantreibt.
Die Wettbewerbslandschaft: Epic, Cerner und deutsche Alternativen im Vergleich
Im globalen Markt für Healthcare-IT stehen Epic und Oracle Health (ehemals Cerner) an der Spitze. Beide Unternehmen verfolgen unterschiedliche Strategien: Während Epic auf In-House-Entwicklung und einen integrierten Ansatz setzt, hat Cerner durch die Übernahme durch Oracle seine Marktposition gestärkt und kann nun Cloud-Infrastruktur und Datenbank-Expertise nutzen.
In Deutschland dominieren lokale Anbieter wie CompuGroup Medical (CGM) und Dedalus den Markt für Praxis- und Krankenhausinformationssysteme. Sie profitieren von ihrer Kenntnis der lokalen Gegebenheiten und regulatorischen Anforderungen.
Fachleute und Anwender betonen, dass Epic – aufgrund seiner konsequenten In-House-Entwicklung – häufig einen robusteren, wenn auch komplexeren Ansatz verfolgt. Andere Anbieter punkten mit teilweise größerer Offenheit, flexibleren Schnittstellen oder geringeren Implementierungskosten.
Für Gesundheitseinrichtungen ist die Wahl des richtigen Systems eine strategische Entscheidung mit langfristigen Auswirkungen. Die Implementierung eines EHR-Systems wie Epic erfordert erhebliche Investitionen und organisatorische Veränderungen, verspricht aber langfristig Effizienzgewinne und bessere Patientenversorgung.
Interoperabilität als Schlüssel zum Erfolg: Wie Epic Datensilos überwindet
In einer Zeit, in der Patienten häufig verschiedene Gesundheitsdienstleister aufsuchen, wird Interoperabilität zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Epic’s Care Everywhere-Netzwerk ermöglicht den sicheren Austausch von Patientendaten zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen – auch solchen, die unterschiedliche IT-Systeme nutzen.
Die offene FHIR-Schnittstelle (Fast Healthcare Interoperability Resources) erlaubt zudem die Integration von Drittanbieter-Apps und -Diensten in das Epic-Ökosystem. Diese Offenheit fördert Innovation und ermöglicht es Gesundheitseinrichtungen, maßgeschneiderte Lösungen für ihre spezifischen Bedürfnisse zu entwickeln.
Epic’s Cosmos-Plattform geht noch einen Schritt weiter: Sie aggregiert anonymisierte Patientendaten aus tausenden Gesundheitseinrichtungen und macht sie für Forschungszwecke zugänglich. Diese kollektive Intelligenz ermöglicht es Ärzten, ihre Behandlungsentscheidungen auf Basis von Millionen ähnlicher Fälle zu treffen.
Der Fokus auf Interoperabilität zeigt, dass Epic die Bedeutung von vernetzten Gesundheitsdaten erkannt hat. In einer zunehmend fragmentierten Gesundheitslandschaft wird die Fähigkeit, Daten nahtlos auszutauschen, zum Wettbewerbsvorteil.
Lessons Learned: Was deutsche Anbieter von Epic übernehmen sollten
Für deutsche Healthcare-Technology-Anbieter bietet Epic’s Erfolgsgeschichte wertvolle Lektionen. Die konsequente Integration verschiedener Module zu einer umfassenden Plattform schafft erheblichen Mehrwert für Anwender und Patienten. Statt isolierte Lösungen anzubieten, sollten auch deutsche Unternehmen auf nahtlose Integration und Interoperabilität setzen.
Epic’s Fokus auf Benutzererfahrung und Workflow-Integration zeigt, dass erfolgreiche Healthcare-IT mehr ist als nur Datenerfassung. Systeme müssen den klinischen Arbeitsablauf unterstützen und verbessern, nicht behindern. Deutsche Anbieter sollten daher eng mit Ärzten und Pflegekräften zusammenarbeiten, um ihre Produkte kontinuierlich zu optimieren.
Die langfristige Vision und Unabhängigkeit von kurzfristigen Gewinnerwartungen hat Epic ermöglicht, konsequent in Innovation zu investieren. Auch für deutsche Unternehmen könnte ein solcher langfristiger Ansatz Vorteile bieten – selbst wenn sie nicht vollständig auf externe Investoren verzichten können oder wollen.
Die Zukunft der Healthcare-IT: Trends, die die Branche prägen werden
Künstliche Intelligenz wird die Healthcare-IT in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Epic investiert massiv in KI-Anwendungen wie automatisierte Dokumentation, prädiktive Analysen und klinische Entscheidungsunterstützung. Diese Tools werden den Arbeitsalltag von Ärzten und Pflegekräften transformieren und die Patientenversorgung verbessern.
Die zunehmende Vernetzung von Gesundheitsdaten – über Einrichtungen, Sektoren und Landesgrenzen hinweg – wird neue Möglichkeiten für Forschung und Versorgung eröffnen. Epic’s Care Everywhere und Cosmos sind Vorreiter dieser Entwicklung, aber auch andere Anbieter arbeiten an ähnlichen Lösungen.
Patientenzentrierte Ansätze gewinnen an Bedeutung. Tools wie Epic’s MyChart ermöglichen es Patienten, aktiv an ihrer Gesundheitsversorgung teilzunehmen – von der Terminvereinbarung über den Zugriff auf Laborergebnisse bis hin zur Kommunikation mit Ärzten. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und zu einer stärkeren Einbindung der Patienten führen.
Die Integration von Wearables und Remote-Monitoring-Geräten in EHR-Systeme wird die kontinuierliche Überwachung chronisch kranker Patienten verbessern. Epic arbeitet bereits an Lösungen, die Daten von Apple Watch, Fitbit und anderen Geräten nahtlos in die Patientenakte integrieren.
Strategische Empfehlungen: So positionieren sich deutsche Anbieter im Wettbewerb mit Epic
Deutsche Healthcare-Technology-Anbieter sollten ihre Kenntnis des lokalen Marktes als strategischen Vorteil nutzen. Die besonderen regulatorischen Anforderungen in Deutschland und Europa erfordern maßgeschneiderte Lösungen, die internationale Anbieter wie Epic nicht ohne Weiteres bieten können.
Eine Fokussierung auf spezifische Nischen oder Versorgungsbereiche kann eine erfolgreiche Strategie sein. Statt mit Epic in allen Bereichen zu konkurrieren, könnten deutsche Anbieter spezialisierte Lösungen entwickeln, die sich nahtlos in bestehende Systeme integrieren lassen.
Kooperationen und strategische Partnerschaften – sowohl mit anderen Technologieanbietern als auch mit Gesundheitseinrichtungen – können die Innovationskraft stärken und den Marktzugang erleichtern. Gemeinsam entwickelte Lösungen haben oft eine höhere Akzeptanz bei Anwendern und Patienten.
Die Nutzung offener Standards und Schnittstellen sollte selbstverständlich sein. Nur so können deutsche Anbieter sicherstellen, dass ihre Produkte in heterogenen IT-Landschaften funktionieren und langfristig wettbewerbsfähig bleiben.
Der Epic-Effekt: Warum die Transformation zur Healthcare-Infrastruktur unaufhaltsam ist
Epic Systems hat die Healthcare-IT grundlegend verändert – von isolierten Insellösungen hin zu einer integrierten Infrastruktur, die alle Aspekte der Gesundheitsversorgung unterstützt. Dieser Wandel ist nicht mehr aufzuhalten und wird auch den deutschen Markt zunehmend prägen.
Gesundheitseinrichtungen erwarten heute mehr als nur digitale Patientenakten. Sie suchen nach Plattformen, die klinische Entscheidungen unterstützen, administrative Prozesse automatisieren und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten verbessern. Epic hat diese Erwartungen erkannt und sein Angebot entsprechend erweitert.
Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung digitaler Infrastrukturen im Gesundheitswesen noch verstärkt. Telemedizin, Remote-Monitoring und datengestützte Entscheidungsfindung sind keine Zukunftsvisionen mehr, sondern Realität. Epic’s integrierte Plattform war gut positioniert, um diese Anforderungen zu erfüllen.
Der digitale Gesundheitsmarkt der Zukunft gestalten
Judy Faulkner hat mit Epic Systems gezeigt, dass langfristiges Denken und konsequente Innovation im Gesundheitsmarkt zum Erfolg führen können. Ihre Transformation von Electronic Health Records zu einer umfassenden Healthcare-Infrastruktur verändert die Art und Weise, wie Gesundheitsversorgung organisiert und erbracht wird.
Für deutsche Healthcare-Technology-Anbieter bietet diese Entwicklung sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Sie können von Epic’s Erfolgsrezepten lernen – Integration, Benutzerfreundlichkeit, langfristige Vision – und gleichzeitig ihre spezifischen Stärken ausspielen: Kenntnis des lokalen Marktes, Verständnis für regulatorische Anforderungen und enge Beziehungen zu deutschen Gesundheitseinrichtungen.
Die Zukunft gehört integrierten Plattformen, die Datensilos überwinden und eine nahtlose Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitswesen ermöglichen. Wer diese Transformation aktiv mitgestaltet – sei es als etablierter Anbieter oder innovatives Start-up – wird im digitalen Gesundheitsmarkt der Zukunft eine führende Rolle spielen.
Wikipedia – Judith Faulkner
Forbes – Forbes profile: Judy Faulkner
Epic – About Us
JMIR – Use of Epic Electronic Health Record System for Health Care Research: Scoping Review
CNBC – How Epic’s 82-year-old CEO Judy Faulkner Built Her Software Factory
Business Insider – Epic CEO Judy Faulkner: Would Never Consider Buyout Offer from Apple
EHR in Practice – Epic EHR Software Profile
EHR in Practice – Epic EHR vs Oracle Health (früher Cerner) 2025-Vergleich
Epic – Cool Stuff Now: AI Charting
Forbes – Judy Faulkner Made $7.7 Billion From Healthcare Software. Here’s Her Unusual Plan To Give It Away
TechTarget – What is Epic Systems?