Der Online-Moderiese Zalando zieht die Reißleine bei exzessiven Rücksendern: Bis zu 12 Monate Bestellsperre drohen Kunden, die das kostenlose Rückgaberecht übermäßig beanspruchen. Was zunächst drastisch klingt, betrifft tatsächlich nur einen winzigen Bruchteil der Kundschaft – gerade einmal 0,02 Prozent oder rund 10.000 der mehr als 50 Millionen Zalando-Kunden. Die Maßnahme ist Teil einer umfassenderen Strategie, mit der der E-Commerce-Gigant Kosten senken, logistische Herausforderungen minimieren und nicht zuletzt seinen ökologischen Fußabdruck verkleinern will.
Warum Zalando die Notbremse zieht
Im vergangenen Geschäftsjahr bearbeitete Zalando rund 251 Millionen Bestellungen – durchschnittlich wird laut Zalando jede zweite Sendung zurückgeschickt. Diese enorme Retourenflut verursacht nicht nur massive Kosten, sondern stellt auch eine logistische Herausforderung dar und belastet die Umwelt durch zusätzliche Transportwege und Verpackungsabfälle.
Eine Unternehmenssprecherin erklärt den Schritt: „Wir haben eine kleine Gruppe von Kunden identifiziert – rund 0,02 Prozent unserer Kundschaft –, die unsere Richtlinien übermäßig beansprucht haben.“ Diese kleine, aber kostenintensive Kundengruppe wird nun mit einem temporären Bestellstopp konfrontiert. Die betroffenen Konten bleiben zwar aktiv, sodass Kunden weiterhin ihre Bestellhistorie einsehen können, neue Bestellungen sind jedoch für 12 Monate nicht möglich. Die Bestellsperren-Maßnahme wurde Anfang März 2025 in Kraft gesetzt und erfolgte ohne Vorwarnung.
Interessanterweise hält sich Zalando bedeckt, wenn es um die genauen Schwellenwerte geht. Ab welcher Retourenquote oder Anzahl von Rücksendungen ein Konto gesperrt wird, bleibt vorerst ein Unternehmensgeheimnis – vermutlich auch, um taktisches Retourenverhalten knapp unter der Grenze zu verhindern.
Vom großzügigen Rückgaberecht zum konsequenten Durchgreifen
Die aktuelle Maßnahme ist nur der jüngste Schritt in einer Reihe von Anpassungen, mit denen Zalando sein ursprünglich extrem kundenfreundliches Retourensystem wirtschaftlicher gestaltet. Die Verkürzung der Rückgabefrist von 100 auf 30 Tage trat am 7. Januar 2025 in Kraft. Betroffen sind Deutschland, Italien und die Niederlande. Rücksendungen bleiben weiterhin kostenlos. Der nun eingeführte temporäre Bestellstopp stellt jedoch die bisher konsequenteste Maßnahme dar, um Extremfälle einzudämmen.
Technologie als Schlüssel zur Retourenvermeidung
Neben restriktiven Maßnahmen setzt Zalando verstärkt auf innovative Technologien, um Retouren bereits im Vorfeld zu vermeiden. KI-gestützte Größenberatung hilft Kunden, die richtige Passform zu finden, und reduziert so größenbedingte Rücksendungen.
Besonders vielversprechend sind 3D-Avatare und virtuelle Umkleidekabinen. Pilotprojekte, beispielsweise mit Levi’s, zeigen eindrucksvolle Ergebnisse: Die Nutzung von 3D-Avataren kann die Retourenquote um bis zu 40 Prozent senken. Durch die Erfassung von Körpermaßen via Smartphone konnte Zalando bereits eine 10-prozentige Reduktion der größenbedingten Retouren erzielen.
Mittels Predictive Analytics arbeitet der Modehändler zudem daran, den Weg retournierter Artikel zu optimieren, um den Wiederverkauf zu maximieren und unnötige Transporte zu vermeiden. Diese technologischen Ansätze könnten langfristig weit effektiver sein als Sanktionen.
Branchenvergleich: Wie andere Händler das Retourenproblem angehen
Zalando steht mit seiner Retourenproblematik nicht allein da. Studien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zeigen, dass im deutschen Onlinehandel durchschnittlich jedes vierte Paket zurückgeschickt wird – in der Modebranche sind die Quoten sogar noch höher.
Andere große Online-Händler wie Amazon und About You verfolgen unterschiedliche Strategien: Einige berechnen nach mehrmaliger Nutzung Rücksendekosten, andere setzen wie Zalando auf verbesserte Größenberatung. Die Sperrung von Kundenkonten für einen längeren Zeitraum ist jedoch ein vergleichsweise drastischer Schritt, der in der Branche aufmerksam beobachtet wird. Die Maßnahme gilt auch in der Schweiz, wo überproportional viele Kunden betroffen sein könnten, da die Schweiz „Europameisterin beim Retournieren“ ist.
Die ökologische Dimension der Retourenflut
Neben den wirtschaftlichen Aspekten rückt zunehmend die Umweltbilanz des Online-Handels in den Fokus. Jede Retoure bedeutet zusätzliche CO₂-Emissionen durch doppelte Transportwege und mehr Verpackungsmaterial. Zalando hat sich zum Ziel gesetzt, die Scope-3-Emissionen im Bereich des Vertriebs von 8,5 Prozent (2021) auf 7,0 Prozent (2024) zu senken – die Reduzierung von Retouren spielt dabei eine zentrale Rolle.
Die Bundestagsuntersuchung zur Umweltbilanz des Versandhandels bestätigt die Bedeutung dieses Themas. Für Onlinehändler wird die Optimierung des Retourenprozesses damit nicht nur zu einer wirtschaftlichen, sondern auch zu einer Nachhaltigkeitsfrage.
Balance zwischen Kundenfreundlichkeit und wirtschaftlicher Vernunft
Die Reaktionen der betroffenen Kunden fallen erwartungsgemäß kritisch aus. In Foren und auf Bewertungsplattformen wie Trustpilot beklagen sie vor allem die fehlende Vorwarnung und den mangelnden Dialog. Einige berichten sogar, dass sie nach der Sperrung einfach neue Konten eröffnet haben, um das System zu umgehen.
Für Zalando und andere Online-Händler bleibt die Herausforderung, eine Balance zu finden: Einerseits soll das Einkaufserlebnis möglichst reibungslos und kundenfreundlich sein, andererseits müssen wirtschaftliche Vernunft und ökologische Verantwortung gewahrt werden. Die neue Kontosperrung für extreme Retournierer ist ein deutliches Signal, dass auch im E-Commerce Grenzen gezogen werden müssen.
Zukunftsperspektiven: Der Weg zu nachhaltigeren Retourenprozessen
Die jüngste Maßnahme von Zalando ist vermutlich nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu intelligenteren Retourenlösungen. Mit weiteren Investitionen in KI-basierte Größenberatung, virtuelle Anproben und optimierte Produktbeschreibungen könnte die grundsätzliche Notwendigkeit von Rücksendungen deutlich reduziert werden.
Gleichzeitig dürften branchenweit die Diskussionen über einheitliche Standards und Regelungen zunehmen. Die unterschiedlichen Rückgabefristen – in Deutschland durchschnittlich 51 Tage gegenüber 28 Tagen im EU-Durchschnitt – zeigen, dass hier noch Harmonisierungspotenzial besteht.
Was die Zalando-Strategie für den gesamten E-Commerce bedeutet
Der Schritt von Zalando könnte ein Wendepunkt für die gesamte Branche sein. Wenn selbst ein Unternehmen, das seinen Erfolg zu einem erheblichen Teil auf ein großzügiges Rückgaberecht aufgebaut hat, nun Grenzen setzt, signalisiert dies einen breiteren Paradigmenwechsel im E-Commerce.
Für Online-Händler wird es künftig noch wichtiger, präventive Technologien zu implementieren und gleichzeitig klare Regeln für die Nutzung von Rückgaberechten zu definieren. Die Zalando-Strategie zeigt: Ein durchdachtes Retourenmanagement ist kein Nice-to-have mehr, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor im hart umkämpften Online-Handel.
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